Jazz:Opulenter Minimalismus

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Der deutsche Star-Trompeter Till Brönner und der Bassist Dieter Ilg haben aus Bach und den "Beatles" ein famoses Jazz-Album destilliert.

Von Andrian Kreye

Man muss anlässlich des Albums "Nightfall" (Sony), das der Trompeter Till Brönner und der Bassist Dieter Ilg aufgenommen haben, dringend mal wieder über Ästhetik reden. Auch wenn das in Zeiten des politisch aufgeladenen Jazz und des sozialen Kulturbegriffs gerade gar nicht die zentrale Frage zu sein scheint. Die beiden haben sich nämlich auf eine Duo-Jazz-Platte eingelassen, die den Minimalismus, den vor allem Till Brönner zuletzt so konsequent verfeinert hat, auf den Punkt bringt.

Um die Kraft, die dieses Albums ausstrahlt, zu verstehen, hilft ein Blick in die Design- und Architekturmagazine, deren Programm es im Moment ist, der Reizüberflutung der Gegenwart mit Reduktion Widerstand zu leisten. Mit Verzicht hat das allerdings wenig zu tun. Die Essenz dieser ästhetischen Bewegung hat die Zeitschrift New Yorker neulich mit einem Cartoon illustriert, in dem ein Immobilienmakler einem Paar in einem sehr spärlich möblierten Wohnzimmer erklärt, dass sie sich so wenig Besitz, wie der Minimalismus erfordere, gar nicht leisten könnten.

Ähnlich funktioniert auch "Nightfall". Zwei Musiker, die in jeder Form, Geschwindigkeit und Virtuosität spielen können, die ihre Instrumente so ermöglichen, gehen so sparsam mit ihrem Material um, als müssten sie damit ein Case-Study-House von Richard Neutra beschallen. Die Beschränkung auf Trompete (oder auch Flügelhorn) und Kontrabass gelingt ihnen zunächst deswegen so gut, weil sie nicht nur meisterliche Handwerker sind, sondern auch weil sie auf ihren jeweiligen Instrumenten einen so satten Ton entwickelt haben, dass sie keinen Hall oder sonstige Effekte brauchen. Brönner bringt dabei das Kunststück fertig, den sonst so dichten Strahl des Trompetentons, mit Luftströmen, Ober- und Untertönen so zu erweitern, dass er eine Breite bekommt, die sonst nur Saxofonisten erreichen. Dieter Ilg wiederum zupft den Kontrabass mit einer Präzision, die auch in den untersten Lagen ein Maximum an Melodieführung und Virtuosität zulässt.

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Bei Till Brönner hilft es wie immer, wenn man kein deutsches Fernsehen sieht und so den ganzen Erfolgsrummel nicht im Blick hat, den ihm Jazz-Puristen mit ihrem spätbiedermeierlichen Arme-Poeten-Dogma übel nehmen. Man muss sich dann auch nicht mit der Frage aufhalten, ob das Material, das die beiden interpretieren, eine Anbiederung ist. Neben eigenen Stücken und einem von Ornette Coleman spielen sie nämlich Songs von den Beatles, von Leonard Cohen, von Bach und von Britney Spears. So eine Auswahl ist üblich im Modern Jazz. Songs wie "Eleanor Rigby" und "A Thousand Kisses Deep" sind schlicht dankbares musikalisches Rohmaterial. Aber hier bleibt vom ursprünglichen Pop-Schmelz sowieso nichts übrig.

Das Erstaunlichste aber ist, dass Brönner und Ilg der vermeintlich allzu spröden Instrumentierung treffsicher konzentrierte Ideen abgewinnen, die jene Hörer, die die Musik nur nebenbei hören, nicht überfordern - und doch bei ihnen hängen bleiben. Und weil der Ursprungsort im Jazz die Musik oft deutlich prägt, scheint es nur logisch, dass Brönner und Ilg "Nightfall" an dem Ort aufgenommen haben, der zum Symbol für unerschwinglichen Minimalismus geworden ist, im Fünf-Sterne-Hotel Elmau am Fuß des Wettersteingebirges.

© SZ vom 01.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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