Internetvideo der Woche:Ich weiß, was du in der Tonne getan hast

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Was für eine Freude, jemandem einen Schreck einzujagen! Da darf man ruhig mal eine Frau zerteilen. Schockierende Streiche in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Ein elementarer Bestandteil der Kindheit besteht darin, sich Streiche auszudenken, mit denen man andere erschreckt. So sagte man früher, als man zusammen mit Freunden "Halloween" oder "Freitag, der 13." auf Video schaute, man müsse mal kurz aufs Klo, schlich dann aber in den Werkzeugkeller und kam mit einer Motorsäge und monstertief verstellter Stimme zurück ins Fernsehzimmer...

In der Regel nimmt der Drang, im ruhigen Fluss des Lebens so viele Wirbel wie möglich zu erzeugen, mit den Jahren ab. Doch manchmal bleibt der Impuls bis ins Erwachsenenalter erhalten und regt sich dann, wenn der Alltag besonders langweilig zu werden droht oder die Gelegenheit günstig ist.

Prickelnde Freude beschleicht einen schon im Vorfeld des Streiches, weil man weiß, dass man gleich Aktionskunst erschafft, mit der man eine unmittelbare Wirkung erzielen wird. Man will dem Streich-Opfer zwar Angst einflößen und es für Momente destabilisieren, aber nur, um es sofort wieder aufzufangen, indem man klar macht, dass es ein Scherz war. Der kleine Schreck soll ein wohliges Kribbeln hinterlassen. Deshalb sind die Erschreckten nur in den seltensten Fällen nachhaltig sauer, sondern lachen mit und sind froh, eine intensive Erfahrung gemacht zu haben.

Wie diese Erschreckens-Balance misslingen kann, zeigt der Clip "Scare Fail". Es handelt sich um eine inszenierte Situation unter Studenten an einem College: Der zu Erschreckende wird interviewt und gefilmt, doch dann läuft die Aktion aus dem Ruder und gerät zu einem ganz anderen Spaß als geplant.

Das Streich-Opfer reagiert nämlich auf den Spaß wie auf eine echte Bedrohung und streckt das maskierte Monster, das aus der Mülltonne hervorschnellt wie ein Springteufel, mit einem gezielten Schlag nieder. Der Student reagiert instinktiv und versteht erst im Nachhinein, dass er nur erschreckt werden sollte. Als sei dies der geplante mechanische Ablauf, knickt der menschliche Springteufel zurück in seine Tonne.

In den USA hat das gegenseitige Erschrecken vor allem zu Halloween eine große Tradition. So gibt es etliche Videoclips, in denen Menschen mit allen möglichen Masken aus allerlei Verstecken hervorspringen, um ihre Opfer zu erschrecken. Ganz gemein: direkt beim Aufwachen; Hände, die plötzlich aus Spülbecken auftauchen oder Stofftiere, die zum Leben erwachen. Die Reaktionen, meist lautes Kreischen, das in ungläubiges Lachen übergeht, drücken weniger Angst aus als Erregung und die gewisse Freude, derart aufgewühlt worden zu sein.

Tiefer sitzt die Verunsicherung, wenn Spezialeffekte zum Einsatz kommen, die die Wahrnehmung verstören. So führt im Clip "Scary Picnic Prank" der Illusionskünstler Criss Angel nichts ahnende Menschen, die glauben, sie befänden sich auf einer gruppendynamischen Veranstaltung, in einen wahr werdenden Albtraum.

Eine scheinbar zufällig ausgewählte Frau liegt auf einer Parkbank und wird von zwei Teilnehmern an Armen und Beinen gezogen. Plötzlich reißt sie in der Mitte entzwei. Die Beine stehen zehenwackelnd da und wissen nicht mehr, wo es lang geht, der Oberkörper robbt schnell alleine nach Hause. Was folgt, ist ein Konzert aus Kreischen und weggepiepten Schimpfwörtern.

So erschütternd die Wirkung sein soll, so aufwändig muss die Vorbereitung eines gelungenen Schreck-Streiches nicht unbedingt sein. Im Büro genügt es manchmal schon wie im Clip "Computer Scare Prank!" die Systemtöne am Computer eines Kollegen umzustellen, die Lautsprecher voll aufzudrehen und die Rechner-Sitzung zu beenden. Als sich im Clip der Mitbewohner Matt am Computer anmeldet, begrüßen ihn Gewehrgewitter und massive Explosionen. Mitten im ruhigen Alltag scheint das Leben plötzlich gefährlich zu werden.

Matt ist alarmiert, blitzschnelle Blicke in alle Richtungen zeigen ihm aber, dass keine Gefahr droht. Schon im Niederfallen auf der Suche nach Deckung vor dem Angriff versteht der Gefoppte, was ihm gerade passiert. "Wir haben das alles auf Video", sagt ihm der versteckte Filmer. "That was good", muss Matt leidlich zugeben. Er ist wohl einigen Quatsch von und mit seinen Freunden gewöhnt und weiß, dass seine theatralische Reaktion den kleinen Schrecken wert war.

PS: Matt hat es wirklich nicht leicht, man würde sich nicht wundern, schlüge auch er irgendwann zurück und beförderte seine Mitbewohner zum Monster in die Tonne.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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