Ingolstadt:Stark bis überwältigend

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Jazztage geizen nicht mit Höhepunkten

Von Oliver Hochkeppel, Ingolstadt

Man muss bundesweit schon lange suchen, um ein vergleichbar edel bestücktes Jazzfestival wie die Ingolstädter Jazztage zu finden. Mit Stars wie China Moses oder dem Tingvall Trio schon zum Aufwärmen und dem aktuell neben Jamie Cullum begehrtesten Jazzer Gregory Porter fürs große Finale; selbst beim "Jazz in den Kneipen" ging ein Monsterbassist wie Etienne Mbappé an den Start. Und von den acht Bands der beiden Jazzpartys, traditionell der Kulminationspunkt der Jazztage, wäre fast jede, von Al Di Meola bis zu den Brand New Heavies, bei anderen Festivals ein Headliner.

Nun bedeuten große Namen nicht zwangsläufig ein großartiges Festival. Dafür sorgen hier der Programm-Mix des Festival-Leiters Jan Rottau aus hiesigen und ausländischen, aus jungen und alten, aus traditionspflegenden und revolutionären Gästen und nicht zuletzt deren ebenso professionelle wie freundschaftliche Betreuung. Viele Musiker lieben die Atmosphäre der Jazzpartys im NH Hotel, das keine Schönheit ist, aber nahezu ohne Barrieren zwischen Musikern, Publikum, Presse und Machern ein perfektes Festivalzentrum abgibt. "Es ist immer wie ein Familientreffen hier", sagt zum Beispiel der Trompeter Ashlin Parker aus New Orleans, der - als Grammy-Gewinner - zum wiederholten Male in der für die Jam Sessions zusammengestellten Late Night Band spielt.

Weil auch das Publikum nach 33 Jahren beschlagen ist und mit den Künstlern interagiert, sind die Voraussetzungen für besondere Auftritte gut. So einer wie der des amerikanischen Saxofonisten Marcus Strickland mit seinem Twi-Life Quartett bei der ersten Jazzparty: Bestechend, wie er die Postbop-Fusion der Achtziger à la Brecker Brothers ins 21. Jahrhundert holt, mit komplexen, immer spannenden Strukturen, mit dem Gespür für Wechsel und Wendungen und mit einer großartigen Band, in der Organist und Keyboarder Chad Selph noch einmal herausragte. Strickland hätte sich jedenfalls nicht demütig vor dem nachfolgenden Robert Glasper verbeugen müssen, erwies sich doch dessen Fortspinnen der amerikanischen Jazztradition als Mogelpackung. Der Pianist mit dem großen Mundwerk mag zwar die amerikanischen Jazzcharts anführen, sein ewig gleiches halliges Keyboard-Geklimper und sein einfallsloser Stilmix wurden wieder einmal einzig durch einen bemerkenswerten Schlagzeuger (früher Chris "Daddy" Dave, nun Mark Colenburg) vor dem sofortigen Dahinsiechen bewahrt. Eine große Enttäuschung, wie sie aber ganz unbedingt zu einem guten Festival als idealen Ort des Vergleichs und der Überprüfung dazugehört.

Weil es im Jazz immer weniger Legenden und Selbstläufer gibt, werden Festivals außerdem thematischer arbeiten müssen - so wie es Ingolstadt mit der zweiten Jazzparty als "Bass Night" mustergültig vorexerzierte. Vier völlig unterschiedliche Stars ihres Fachs spannten einen Bogen, vom bewegenden Afro-Funker Richard Bona zum seinen wilden, jungen Haufen souverän durch Hochdruck-Fusion dirigierenden Stanley Clarke. Und von Dieter Ilg, der den ach so schweren Beethoven zum Singen und Swingen brachte, wie das noch niemand vor ihm geschafft hat, bis zum Franzosen Renaud Garcia-Fons, der für viele den Festival-Höhepunkt markierte. Sein Technik, speziell am Bogen, stand wie immer für unerreichte Artistik, aber wie immer auch ganz im Dienst der Musik. Und die gehört mit dem neuen Programm "Revoir Paris", zum Schönsten, was Garcia-Fons bisher gemacht hat. Der überwältigende Farbenreichtum, die Dynamik, die Fülle der kompositorischen Ideen, das magische Zusammenspiel mit dem Akkordeonisten David Venitucci und dem Schlagzeuger und Vibrafonisten Stephan Caracci machten diese musikalische Hommage an das alte und neue Paris zu einer umjubelten Sternstunde.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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