Im Kino: Zwischen uns das Paradies:Der mir alles nahm

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Luna hat alles unter Kontrolle, doch Amar hat den Schnaps gebraucht, um Krieg, Tod und Traumata zu verdrängen. "Zwischen uns das Paradies" erzählt von einer neuen Klasse in Bosnien-Herzegovina: einer mit Zukunft.

Fritz Göttler

Was ist denn da drin, murmelt der Kollege und verzieht das Gesicht. Moment mal, sagt Amar, das ist meine Tasse. Er wirkt bestürzt, erschrocken, schuldbewusst. Die zwei arbeiten im Tower des Flughafens von Sarajewo. Es ist Schnaps in Amars Tasse. Der Fehlgriff des Kollegen hat schlimme Folgen, Amar wird entlassen. Alkohol am Arbeitsplatz, das gefährdet das Leben der Passagiere.

Amar verliert seinen Job, weil man ihm mit Alkohol am Arbeitsplatz erwischt. Luna ist sauer, weil er ihr gemeinsames Leben so leichtfertig aufs Spiel gesetzt hat. Dann holt ihn ein Freund zum Islam zurück. (Foto: ddp)

Luna ist sauer, wie konnte er nur seinen tollen Job so leichtfertig aufs Spiel setzen. Sie ist Flugbegleiterin bei BH Airlines. Luna und Amar sind ein Paar, sie haben eine kleine Wohnung über den Dächern der Stadt, wollen ein Kind, wofür Luna sich einer speziellen Hormontherapie unterziehen muss. Sie gehören zur Jugend, zur neuen Klasse in Bosnien-Herzegovina mit Aussicht auf eine Zukunft.

Jasmila Zbanic ist, was diese Zukunft angeht in ihrem zweiten Film - nach dem Berlinale-Sieger "Grbavica/Esmas Geheimnis", 2005 - von Oberflächen fasziniert, von Stoffen, Textilien, Tüchern. Von der Glätte der Cremeschnitten beim Konditor. Die aparte Luna (Zrinka Cvitesic), mit Kurzhaar, Perle im Ohr, langem kometengestirnten Schal überm dunkelblauen Kostüm, ist die Unabhängigkeit in Person, am liebsten schaut sie auf ihre Umwelt durch die Kamera ihres Handys, die alles verformt und facettenhaft zerlegt.

Sie hat alles unter Kontrolle, hat die Vergangenheit verdrängt, den Krieg, die Toten und die Traumata der Familie. Amar hat dafür den Alkohol gebraucht, nun kommt er mit dem Verlust der Stelle nicht zurecht. Er ist Soldat gewesen im Krieg, die Arbeit im Tower war nur eine Zwischenstation, eigentlich wollte er Pilot werden.

Ein Freund holt ihn zum Islam zurück, in eine kleine Kommune von Wahhabiten, die auf einer Insel in einem See leben, unabhängig, antimodern, in ihrer Freiheit. Zbanic hat einen Blick für die Widersprüche der Gesellschaft im Transitraum Balkan, man muss in diesem Film mit anderen Augen sehen lernen.

Verbiesterte Unnachgiebigkeit, Selbstgerechtigkeit, Fanatismus

Die Frauen der Gruppe haben, auch wenn sie weite Gewänder und Tschadors tragen, eine aggressive Selbstsicherheit, bei den Männern hat sich diese schon weiterentwickelt in eine verbiesterte Unnachgiebigkeit, eine Selbstgerechtigkeit, einen Fanatismus. Luna ist entsetzt, als sie die Kommune besuchen darf, als Amar versucht, sie von der anderen Kontrolle zu überzeugen, der durch die Religion und ihre Vorschriften fürs Leben.

Es ist für ihn, der heimatlos ist in der Geschichte seines Landes, ein Versuch, für sich einen neuen Platz zu finden, eine Zukunft. In den Liedern, die die bosnischen Männer in den Kneipen singen, hat die uralte Angstfaszination von der Heimatlosigkeit, vom fahrenden Volk überlebt, wie sie auch bei uns im Westen immer wieder die politische Diskussion prägt: "Das ist mein Haus, hier lebte ich. Das ist meine Liebe, sie liebte ich. Das ist der Mann, der mir alles nahm. Landstreicher, wartet auf mich, ich weiß nicht wohin ..."

NA PUTU, Bosnien-Herzegovina/ Österreich/Kroatien/D 2010 - Regie, Buch: Jasmila Zbanic. Kamera: Christine A. Maier. Musik: Brano Jakubovic. Schnitt: Niki Mossböck. Mit: Zrinka Cvitesic, Leon Lucev, Ermin Bravo, Mirjana Karanovic, Marija Köhn, Nina Violic. Neue Visionen, 100 Minuten.

© SZ vom 02.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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