Im Kino: "West is West":Britpop trifft auf Bollywood-Musical

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Dass man Migrantenstorys mit prallen Charakteren und curryscharfem Witz erzählen kann, demonstrierte 1999 der Indie-Überraschungshit "East is East". Jetzt dreht Regisseur Andy De Emmony den Spieß um und schaut gen Westen. Eine mitreißende Identitätssuche zwischen England und Pakistan.

Rainer Gansera

Der alte Mann nimmt den renitenten Teenager unter seine Fittiche und gibt ihm ein Sprichwort zur Meditation auf: "Freunde dich nie mit einem Elefantenwärter an, wenn du keinen Platz hast, um seinen Elefanten zu beherbergen!" Der zwölfjährige Junge namens Sajid (Aqib Khan) geht wie üblich in spöttische Defensive, nennt den Alten einen "Spinner" - und doch spürt er genau, dass das Bild vom Beherbergen des Elefanten ins Zentrum seiner Identitätssuche trifft. Als Aufforderung, sich innerlich zu öffnen.

Wenig ist britischer als ein Fish-&-Chips-Laden. (Foto: REUTERS)

Dass man Migrantenstorys jenseits pädagogischer Betulichkeit, mit prallen Charakteren und curryscharfem Witz erzählen kann, demonstrierte 1999 der Indie-Überraschungshit "East is East" (Regie: Damien O'Donnell). Es war die Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Ayub Khan-Din, der autobiografische Erfahrungen in befreienden Humor verwandelte. Nun hat Khan-Din eine Fortsetzung seiner Familiensaga verfasst, deren Titel in die entgegengesetzte Himmelsrichtung weist.

Der Tonfall hat sich geändert: von Satire zu sanfter, beinahe märchenhafter Balance aus Komödie und Drama. Die Stärke der Inszenierweise jedoch (Regie diesmal: Andy De Emmony) mit ihrer liebevollen, detailgenauen Figurenzeichnung ist erhalten geblieben. Auch das Kernthema, die Demontage eines selbstgefälligen Patriarchen, findet sich wieder, nur merkt man das nicht sogleich, denn die im Jahr 1975 angesiedelte Geschichte entfaltet sich erst einmal nach Coming-of-age-Routine.

Die multikulturelle Familienaufstellung ist bekannt: Vater George "Dschingis" Khan (Om Puri) stammt aus Pakistan, die britische Mutter Ella (Linda Bassett) hat irische Wurzeln, in dem von Backstein-Reihenhäusern geprägten Arbeiterviertel des nordenglischen Städtchens Salford betreiben die beiden einen Fish-&-Chips-Laden - und ihr jüngster Sohn Sajid ist erzieherisch kaum noch zu kontrollieren. Er schwänzt die Schule, übt sich im Ladendiebstahl und verschweigt, was ihn quält: Dass Mitschüler ihn als "Curry-Kid" hänseln und demütigen. Gern würde er "dazugehören", ein ganz normaler Britboy sein, und als er eines Tages Vater George als "Fuckin' Pakistani Bastard" beschimpft, verordnet der ihm einen Umerziehungs-Trip in den Ort seiner pakistanischen Herkunft.

Wenn weise alte Männer die Initiative ergreifen

Schneller als gedacht findet sich Sajid im farbenfrohen Pandschab-Ambiente zurecht, schließt Freundschaft mit einem Gleichaltrigen, blüht unter der Obhut eines alten Sufi-Weisen auf, der ihm die Philosophie des "Elefantenbeherbergens" vermittelt: Britpop meets Bollywood-Musical.

Und dann wird klar, dass die Lektionen, die sein Vater hier zu lernen hat, wichtiger sind. Warum hat George seine erste Frau und zwei Töchter vor dreißig Jahren einfach so verlassen? Warum glaubt er, mit Geldüberweisungen Schuld begleichen zu können? Ein Sandsturm zieht auf, und es zeigt sich einmal mehr, dass Frauen viel mehr von Leben und Versöhnung verstehen als eitle Patriarchen.

Dem Thema Fremdenhass weicht "West is West" dabei nicht aus - das Thema wird nur anders angepackt: Clash der Kulturen als Clash der Charaktere. Wenn weise alte Männer und lebenskluge Frauen das Heft des Handelns ergreifen, darf sogar von einem Happy End geträumt werden.

WEST IS WEST, Großbritannien 2010 - Regie: Andy De Emmony. Buch: Ayub Khan-Din. Kamera: Peter Robertson. Musik: Robert Lane, Shankar Mahadevan. Mit: Om Puri, Aqib Khan, Linda Bassett . Kool Filmdistribution, 103 Min .

© SZ vom 16.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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