Hate Poetry:Lachen ist Macht

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Journalisten mit Migrationshintergrund lesen auf einer Bühne hasserfüllte Leserbriefe vor, die Zuschauer lachen sich kaputt. Was daran so lustig ist - und wie Humor eine Waffe sein kann.

Von Gökalp Babayiğit

Ein Mensch mit Migrationshintergrund liest auf einer Bühne einen Brief vor, den ihm ein anderer Mensch anonym geschrieben hat. Der Brief ist bestürzend vulgär und beleidigt den Vorleser, dessen Herkunft und Familie auf Übelste. Im Publikum aber sitzen einige Hundert Menschen und lachen sich kaputt.

Nüchtern nacherzählt klingt das, was auf "Hate-Poetry"-Veranstaltungen vor sich geht, wundersam oder gar absurd: Die überwiegend deutschen und deutschstämmigen Zuschauer hören zwar die himmelschreiend rassistischen, sexistischen Beschimpfungen, die Journalisten wie Özlem Topcu von der Zeit oder Deniz Yücel von der taz oder Özlem Gezer vom Spiegel in aller Regelmäßigkeit in ihren Briefkästen finden. Aber amüsieren werden sie sich über die Show, die die Journalisten auf der Bühne bieten. Und vor allem werden sie sich mit den Adressaten der Briefe amüsieren.

"Egal in wie vielen Leitartikeln wir Rassismus, Angst vor Fremden und vermeintlich Fremden, vor Schwulen und Muslimen anprangern, wir werden womöglich nicht jene erreichen, die Angst und Hass verspüren", sagt Topcu. Deswegen machten sie lieber ihre Veranstaltungen "und haben gemeinsam mit einem Publikum was zu lachen". Seit mehr als zwei Jahren gibt es Hate-Poetry-Veranstaltungen in ganz Deutschland, die Säle sind meistens voll, Hunderte Menschen pro Auftritt.

Also ist Humor die Lösung? Sollen hier die Rassisten ausgelacht werden, gemeinsam mit Gleichgesinnten, denen die Vorurteile gegen Menschen mit Migrationshintergrund ebenso fremd sind wie den Briefeschreibern die Vorstellung, dass man auch als Journalistin mit türkischem Namen herausragend und objektiv über die Türkei berichten kann? Die Motivation für Protagonisten und Publikum ist sich in manchen Punkten sehr ähnlich - in anderen gibt es enorme Unterschiede.

Machtdemonstration auf der Bühne

Zum einen sind da die Journalisten, die Ziele des Leserhasses. "In der Ecke stehen und weinen, das werden wir nicht mehr tun", sagt Özlem Topcu. "Mit der Hate Poetry wollen wir das Zeichen setzen: 'Wir machen uns nicht zum Opfer'. Für sie ist die Show eine Art Empowerment und Machtdemonstration.

Ein Motiv, das in der Welt des Humors nicht unbekannt ist. Einem ganz ähnlichen folgte auch der afro-amerikanische Komiker Richard Pryor, der sich Ende der 60er Jahre in seinen Shows des N-Wortes bemächtigte und vom Joke-Teller zum Truth-Teller wurde. Bis heute gilt Pryor als einer der wichtigsten Stand-Up-Comedians, der Grenzen eingerissen und den öffentlichen Diskurs über Rassismus verändert hat, indem er seinem Publikum und damit der Gesellschaft den Spiegel vorhielt.

Pryor verarbeitete in seinen Stücken Kindheitserlebnisse und die Diskriminierung, die er erdulden musste. Auch die Journalisten nutzen die Auftritte und das gemeinsame Amusement über die hasserfüllten Zeilen. "Hate Poetry ist ein persönliches Ventil. Man muss nicht allein in seinem Büro sitzen mit diesem Mist", sagt Topcu. "Durch die Hate Poetry fällt man weicher." Und man kann das Zeug, wie Deniz Yücel es ausdrückt, "wieder zurück in die Umlaufbahn schicken".

Diese Rücksendung erfolgt auf eine Art und Weise, die von der Exaltiertheit und vom Show-Talent der Journalisten lebt. Ihnen allen ist ein gewisser satirischer Instinkt gemein. Sie wissen, dass öffentliche Betroffenheit oder eine Gegenwut gegen jene, die ihnen den Hass schicken, sie nicht retten werden - beziehungsweise sie dadurch gar nicht gerettet werden wollen. Also wählen sie den Humor als Waffe gegen die Intoleranz.

Doch wie wirkt dieser Humor? Wie erklärt sich, dass die Menschen trotz der beschämenden Prosa lachen - allein die Bühnenpräsenz der Journalisten, die eben keine Schauspieler, sondern Journalisten sind, kann es nicht sein.

Dass der Humor eine Tugend sein kann, hat nicht zuletzt Martin Seel festgestellt. Seel lehrt Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt und hat sich immer wieder mit dem Thema beschäftigt. "Zunächst dachte ich, das ist das bloße Verlachen dieser Idioten, die solche Briefe schreiben", sagt er über die Hate Poetry. "Doch ich glaube, es ist mehr. Die Journalisten nehmen ja die rassistischen Kommentare genau dadurch ernst, dass sie sie nicht zu ernst nehmen. Sie versuchen, den Ernst der Gegenseite stets ins Gegenteil zu verkehren: ins Komische. Je fanatischer der Ernst der Gegenseite, desto ernster ihr Versuch."

Für den Psychologen Willibald Ruch, der an der Universität Zürich Humor erforscht, zieht die Veranstaltung ihre Wirkung auch aus der Anordnung: "Wir lachen gern über Dinge, die unstimmig sind und seltsam anmuten." Hier würden sprachlich geschickte Journalisten mit weniger geschliffenen Mitteln angegriffen. "Diese Asymmetrie kann man als sehr lustig sehen." Maximalen Effekt aber erziele dieser Widerspruch, weil starke Emotionen im Spiel sind, die sich mit dem lustigen Kontext - das bewusst alberne Bühnenbild, das Overacting der Vortragsweise - die Waage halten.

In seinem Aufsatz "Humor als Laster und als Tugend", den Martin Seel im Jahr nach 9/11 verfasste und der sich dem Humor in nicht fassbaren Momenten annähert, schreibt er davon, wie im Lachen "die Wahrheit der Unmöglichkeit" liegen kann, "auf ein solches Ereignis überhaupt angemessen zu reagieren. Ein solches Lachen schließt die Erkenntnis der eigenen Unfähigkeit mit ein, zu dem Schrecklichen eine schlüssige Einstellung zu gewinnen." Für Seel ein Quellgrund des Komischen in nahezu allen Bereichen.

Legitim ist es, wenn man über sich selbst lacht

Vielleicht also lachen die Zuschauer auch deshalb, weil sie sich mutmaßlich erstmals mit einer Machtlosigkeit konfrontiert sehen, die sie, so sei es ihnen gewünscht, in ihrem Leben nie erleben werden. Also lachen sie angesichts der Machtlosigkeit gegen solche Angriffe - und weil sie merken: Sie wüssten auch nicht, was tun gegen so viel Dummheit, Perfidie und Verleumdung.

Festmachen ließe sich das auch daran, dass das Publikum oftmals mehrere Stadien durchschreitet, ehe die Stimmung ausgelassen ist: vom beinahe ungläubigen über das staunende hin zum lauten, befreiten Loslachen nach jedem vorgelesenen Satz. Ein legitimes Lachen, sofern die Lachenden auch über sich selbst lachen, sagt Seel: über ihre Unsicherheit und ihre eigene Ratlosigkeit ob der Leserbriefe.

Den Journalisten also dient der Humor sehr wohl als Waffe gegen die Intoleranz, die ihnen entgegengebracht wird. Özlem Topcu ist zufrieden mit der guten Resonanz auf die Veranstaltungen. Die Leute, die zu den Hate-Poetry-Abenden kommen, müssten sie ohnehin nicht mehr gewinnen, sagt die Zeit-Journalistin. "Aber wir haben auch ein paar hinzugewonnen, die nicht jeder zu den sogenannten Gutmenschen zählen würde." Aber entfaltet sich auch eine Wirkung bei den Briefeschreibern, also bei den eigentlichen Adressaten? "Vielleicht ist es ja auch gut zu wissen, man hat eine Waffe", sagt Psychologe Ruch, "selbst wenn sie nicht tauglich ist".

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