Großformat:Wie Ikonen entstehen: das Bild vom Vater mit Hut

Lesezeit: 1 min

Man kennt Helen Levitts Werk vor allem in Schwarzweiß, dabei gibt es auch Farbfotos. Die zeigte sie aber nur einmal, in einer Diaschau.

Von Catrin Lorch

Als Helen Levitt ihren Diaprojektor Anfang der Sechzigerjahre im Museum of Modern Art (MoMA) aufbaute, war ihrem Publikum die historische Dimension des Augenblicks wohl kaum bewusst. Die Kunstgeschichte notiert rückblickend, dass an diesem Abend womöglich erstmals farbige Fotografie in einem Museum präsentiert wurde. Und Levitt war auch die erste Künstlerin, die dort einen Projektor aufbaute. Dabei war der ganze Auftritt eine reine Notlösung. Die im Jahr 1913 in Brooklyn geborene Fotografin und Filmemacherin, die unter anderem mit Walker Evans und Luis Buñuel gearbeitet hatte, konnte es sich einfach nicht leisten, von ihren Farbaufnahmen genügend Abzüge für Ausstellungen herzustellen. Während ihre schwarz-weißen Fotografien von den Bürgersteigen New Yorks schon als Ikonen der Street Photography gefeiert wurden, gingen die Farbaufnahmen, die nur wenige Sekunden überhaupt auf den Wänden zu sehen gewesen waren, verloren, als Einbrecher Anfang der Siebzigerjahre Levitts Apartment ausräumten.

Doch Helen Levitt arbeitete auch im Rentenalter weiter, streifte durch Spanish Harlem und die Lower East Side, fotografierte Dicke in Polohemden, Frauen mit billigen Einkaufstaschen, Kinder, die an Feuerleitern turnen. Als sie im Jahr 1974 zu "Projects" erneut ins MoMA eingeladen wurde, hatte sie vierzig neue Dias dabei, darunter solche wie "New York" (Foto: Film Documents LLC, Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln), das seither nicht erneut gezeigt wurde. Der Vater, der mit seinem Baby im Jahr 1977 auf den Stufen sitzt, blieb - wie viele seiner Nachbarn - der unsichtbare Schatten dieses außerordentlichen Werks, das in seiner Bedeutung für den Kanon der Fotografie erst seit wenigen Jahren wirklich gewürdigt wird. Die große alte Dame der Street Photography starb im Jahr 2002, als sie ihr Terrain schon lange aufgegeben hatte. Nicht aus Altersgründen, sondern weil sie nichts mehr zu fotografieren fand: "Die Straßen sind jetzt leer. Die Menschen gehen nicht mehr raus, sondern sitzen vor dem Fernseher."

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: