Großformat:Wie Hieronymus Bosch in die Pizzaschachtel kommt

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Der Illustrator Christoph Niemann hat uns für diese Kolumne, in der wir unbekannte Werke vorstellen, in seine Denk- und Schauwerkstatt blicken lassen.

Von Jörg Häntzschel

Ob Hieronymus Bosch seine Bilder in Pizzaschachteln verschickt hat? Schwer, das heute zu sagen. Christoph Niemann, der bekannte Illustrator (Zeit, New Yorker), hatte aber genau das vor. Die Kartons sind billig, groß und quadratisch, begeistert bestellte er 50 Stück. Es gab nur einen Haken: Sie waren mit einem grinsenden Pizzabäcker bedruckt. Er hätte die Kartons nun zurückgeben können oder hoffen, der Pizzabäcker auf der Kunstverpackung würde Ironiepunkte bringen. Stattdessen legte er selbst Hand an: Per Siebdruck baute er Koch, Ofen und Feuer in seine eigene Küchen-Version eines Jahrhundertgemäldes ein: Hieronymus Boschs "Hölle" aus dem Triptychon "Der Garten der Lüste".

Niemann ist ja berühmt dafür, inkongruente Bildwelten zu kreuzen und Alltagsdinge als grafische Samples zu verwenden: Er zeichnete Spaghetti als Straßen-Knäuel im Google-Maps-Stil, zweckentfremdete eine Mohnsemmel als Stoppelbart und schrieb eine Schöpfungsgeschichte aus Salzteigfiguren. Je weiter die Welten auseinanderliegen, desto mehr Spaß macht es. Einzige Voraussetzung: Künstler und Betrachter müssen denselben visuellen Erfahrungsschatz teilen: "Wenn Du noch nie eine Pizzaschachtel und noch nie den Bosch gesehen hast, macht es keinen Sinn."

Wie ihm diese Sprünge gelingen, wie er also vom Pizzabäcker zur "Hölle" gelangt, das kann Niemann nicht erklären. Nur so viel: "Man muss versuchen in einen Zen-Zustand zu kommen, in dem man jedes Bild, das man je gesehen hat, präsent hat. Ich frage mich dann: Was ist das? Ist es eine Landschaft? Sieht es aus wie eine Gruppenfotografie von Irving Penn? Steckt da das Gesicht von Adenauer drin? Du musst an jede mögliche Assoziation denken, 1000 Optionen durchrattern lassen, bis du irgendwo hängen bleibst."

Doch das ist ja nur der Anfang. "Die richtig guten Sachen passieren erst beim Machen. Es gibt keine Abkürzung. Erst wenn du dich durch den ganzen Tunnel gebohrt hast und auf der anderen Seite rausgekommen bist, weißt du, ob es da schön ist oder nicht, ob die Idee funktioniert." Und wenn sie funktioniert, wie in diesem Fall, dann stellt sich die Frage, was Hieronymus Bosch mit Pizza zu tun hat, auch nicht mehr. "Das Bild muss gemacht werden, weil es das Universum verlangt."

Der Stapel mit den 50 bedruckten Pizzaschachteln liegt übrigens noch immer in Niemanns Büro, denn zum Verpacken eigneten sie sich am Ende doch nicht.

© SZ vom 30.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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