Großformat:Tanzende Überlebenskünstler

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Abb.: Maria Luiko; Credit: Münchner Stadtmuseum (Foto: N/A)

Die Münchner Künstlerin Maria Luiko wurde von Nationalsozialisten umgebracht. Ihre charaktervollen Marionetten, die lange als verschollen galten, sind jetzt im Münchner Stadtmuseum erstmals wieder zu sehen.

Von Catrin Lorch

Diese Darsteller sind schlank, haben ausdrucksvolle Gesichter und tragen schlichte Kleidung. Wie allen Marionetten sind auch diesen ihre Charaktere fest eingeschrieben. Die meisten sind historische Figuren, Helden jüdischer Mythen und Erzählungen. Die kleine Truppe wird in diesem Frühjahr erstmals wieder zu sehen sein, allerdings nicht auf einer Bühne, sondern im Museum. Einige sind seit knapp achtzig Jahren nicht mehr aufgetreten, seit sie, wohl Ende der Dreißigerjahre, verpackt wurden. Die Münchnerin, die sie geschaffen und gespielt hat, wurde als Jüdin von den Machthabern des nationalsozialistischen Regimes verfolgt, sie wurde deportiert und getötet.

Die im Jahr 1904 geborene Marie Luise Kohn entstammte einem großbürgerlichen Elternhaus, ihr Vater betrieb in der Münchner Loristraße einen Großhandel für Futtermittel und Getreide, ihre Schwester Elisabeth wurde eine der ersten Rechtsanwältinnen Bayerns. Marie Luise Kohn schrieb sich in den Zwanzigerjahren für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste ein und nannte sich selbst Maria Luiko, einige Semester später wechselte sie in die Theaterklasse von Emil Preetorius an die Kunstgewerbeschule und wurde nicht nur Mitglied in Künstlervereinigungen, sondern auch beim "Münchner Marionettentheater Jüdischer Künstler", für das sie gemeinsam mit Rudolf Ernst, einem Künstlerkollegen, den Spielplan gestaltete, Figuren entwarf und selbst Marionetten führte.

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde Maria Luiko aus dem "Reichsverband bildender Künstler Deutschlands" ausgeschlossen, bald durfte sie ihren Künstlernamen nicht mehr führen und konzentrierte sich auf das Marionettentheater, das sie als "Biblische Experimentalbühne" bezeichnete.

Während Denunzianten ihr Atelier als "kommunistische Brutstätte" anzeigten, beantragte Maria Luiko immer wieder erfolglos einen Pass um das Deutsche Reich verlassen zu können. Und während sie als offizielle Repräsentantin bayerisch-jüdischer Künstler in Berlin zu Ausstellungen eingeladen wurde, warf man sie aus der Wohnung. Im November des Jahres 1941 wurde die Familie deportiert, ihr Leidensweg endet wenige Tage später - wie der Tausender Münchner Juden - im Osten des Reichs, wo sie bei einer Massenexekution ermordet wurde. Das Werk der Künstlerin? Galt als verloren, es ist nicht einmal bekannt, wann genau Maria Luiko ihr Atelier aufgab.

Das Münchner Stadtmuseum kann die vollständige Provenienz der Marionetten nicht rekonstruieren, eine handgeschriebene Notiz vermerkt, dass der Kunstmaler Adolf Hartmann die "schönen Handpuppen einer Frau Kohn" verwahrt habe. Der Maler und sein Bruder, der Komponist Karl Amadeus Hartmann, waren enge Freunde der Schwestern gewesen. Es hieß, er habe sich direkt nach der Deportation Zutritt zum Atelier der Künstlerin verschafft, um ihr Werk vor der Vernichtung zu retten. Doch es ist wahrscheinlicher, dass es das Atelier da längst nicht mehr gab. Hatte er vielleicht schon bei der Auflösung des "Münchner Marionettentheaters jüdischer Künstler" im Lauf des Jahres 1937 die Figuren an sich genommen oder als Geschenk erhalten?

Fest steht: Im Depot des Münchner Stadtmuseums befinden sich Tausende von Gegenständen, deren Provenienz sich nicht klären lässt, bei denen sogar ein ernster Verdacht besteht, dass es sich um Raubgut handelt. Hüte, Geschirr, Hausrat, Kleidung, Möbel wurden jüdischen Münchnern vom NS-Staat systematisch abgepresst und verschleudert und das Stadtmuseum war in dieser Zeit guter Kunde bei Auktionshäusern und den sogenannten Verwertern. Doch anders als bei Raubkunst sind die Recherchen kompliziert, weil Hüte und Stühle - im Gegensatz zu Gemälden - keine einzigartigen Werke sind. Die Kunsthistorikerin Vanessa Voigt und der Kurator Henning Rader liefern am Münchner Stadtmuseum mit der Ausstellung "Ehem. Jüdischer Besitz", die im April beginnt, eine Art erste Bilanz, eine Aufarbeitung der eigenen Sammlungsgeschichte, die an vielen Museen ansteht.

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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