Großformat:Lotterie des Lebens

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Der Künstler, DJ und Filmemacher Richard Fleming hat aus einem mexikanischen Bingo-Spiel ein Mahnmal gegen die Einwanderungspolitik gemacht.

Von Andrian Kreye

(Foto: Richard Fleming)

Es war während der Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm über mittelamerikanische Flüchtlinge in der mexikanischen Provinzhauptstadt Tapachula an der Grenze zu Guatemala, als Richard Fleming die Idee für sein Projekt hatte. Vor einer Albergue, einer Pension, in der ein Priester unbegleitete Minderjährige aus Honduras, El Salvador und Guatemala untergebracht hatte, saßen Kinder und spielten "La Lotería", die mexikanische Version des Bingo.

Die Regeln sind einfach. Jeder Spieler bekommt eine "tabla", eine Tafel mit sechzehn Bildern. Der Spielleiter hat einen Stapel mit 54 Karten, aus denen er jeweils eine zieht und vorliest. Wer das Bild auf seiner Tafel findet, darf eine Bohne, einen Kronkorken, eine Münze, oder womit auch immer gespielt wird, drauflegen. Wer als Erster eine Reihe oder einen Block aus vier Treffern bekommt, hat gewonnen. Im Original sind auf den Tablas und Karten volkstümliche Bilder aus der mexikanischen Folklore und Mythologie zu sehen. Da gibt es Motive wie den Hahn, den Musiker, den Tod, den Papagei und so weiter. Richard Fleming ersetzte die Bilder nun mit Motiven aus den Geschichten der Flüchtlinge und stellte zu jeder der Karten ein kurzes Essay.

Zu der Karte "La Sed" (der Durst) mit dem Wasserkanister aus Plastik stellte er beispielsweise den Bericht, dass Menschenrechtsaktivisten wegen Umweltverschmutzung angezeigt wurden, weil sie im Grenzgebiet solche Wasserkanister deponierten, um so die Zahl der Toten zu verringern, die in der Wüste umkommen.

"La Bestia" (das Biest) ist wiederum der Name, den die Flüchtlinge den Güterzügen auf der Nordroute gaben, den sie auch den Todeszug nennen. Tausende springen auf dem Weg nach Norden auf. Viele stürzen im Schlaf von den Wagen, verlieren dabei Arme oder Beine oder werden gar von den Zügen enthauptet. Verbrechen sind auf diesen Fahrten die Regel. Achtzig Prozent aller Flüchtlinge werden auf ihrem Weg angegriffen oder ausgeraubt. Sechzig Prozent aller Frauen werden vergewaltigt. Dazu kommt die Gefahr, entführt zu werden. Die Drogengangs haben durch die Flüchtlinge ein Nebengeschäft entdeckt. Sie entführen ganze Zugladungen und zwingen ihre Opfer, Verwandte anzurufen, die ein paar Tausend Dollar überweisen müssen, sonst sterben die Verschleppten.

Das Eis am Stiel steht wiederum für das Kürzel I.C.E. (im Englischen "ice", als Eis), dem Akronym für die Immigration and Customs Enforcement, die Behörde, die illegale Einwanderer in den ganzen USA aufspürt und abschiebt. I.C.E. ist derzeit für seine brutalen Methoden in den Schlagzeilen, zum Beispiel für die Trennung von Flüchtlingsfamilien.

An der New York University gab es zu dem Projekt neulich ein Symposium am Hemispheric Institute of Performance & Politics. Zum Auftakt des nächsten Präsidentschaftswahlkampfes soll "Lotería de la Migración" als richtiges Spiel in die Buchhandlungen kommen.

An diesem Wochenende ist Richard Fleming mit einem seiner anderen Projekte auf der Manifesta in Palermo zu Gast. Dort betreibt er am Samstag und Sonntag von 11 Uhr 30 bis 18 Uhr auf der Piazza Magione mit Jake Nussbaum das Radyo Vagabondo, einen Pop-up-Radiosender, der bei der Ghetto Biennale in Port-au-Prince auf Haiti begann und den man auch im Netz anhören kann.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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