Großformat:Brüchiger Frieden

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Vor 50 Jahren dokumentierte Ronald Haeberle das Massaker von My Lai. Der Fotograf hielt aber auch den Alltag zwischen den GIs und vietnamesischen Zivilisten fest. Zum ersten Mal veröffentlicht er nun einige dieser Bilder.

Von Hubert Wetzel

Ronald Haeberle kam eher zufällig zur Armee und nach Vietnam. 1966 studierte er in Ohio Journalismus und Fotografie, doch er belegte zu wenige Kurse, um der Wehrpflicht zu entgehen. Das Militär zog den 25-Jährigen ein. Weil einem Offizier auffiel, dass Haeberle stets mit einer Kamera herumlief, wurde er zum Fotografen seiner Einheit gemacht. Als diese im Dezember 1967 nach Vietnam in den Krieg geschickt wurde, ging Haeberle mit.

In Vietnam fotografierte Haeberle weiter. Er hatte zwei Kameras, eine von der Armee gestellte Leica, mit der er vor allem Schwarzweiß-Aufnahmen machte, und seine private Nikon, in die er Farbdia-Filme lud. Mit dieser Kamera entstanden die Bilder auf dieser Seite. Sie wurden um die Jahreswende 1967/68 in der zentralvietnamesischen Provinz Quang Ngai aufgenommen, abseits der aktiven Kampfgebiete. Die Fotografien zeigen das alltägliche Zusammenleben zwischen den US-Soldaten und den vietnamesischen Zivilisten - ein lachender GI mit einem Kind in seinem Jeep, ein Militärarzt, der einen vietnamesischen Jungen behandelt, eine Armeeband, die Jazz spielt.

Es sind friedliche Szenen. Aber man spürt, wie brüchig dieser Frieden ist. In Vietnam gab es keinen Unterschied zwischen Front und Hinterland, zwischen Zivilisten und Kämpfern. Jeder Vietnamese war für die Amerikaner verdächtig, und die GIs mussten jederzeit und überall mit einem Angriff des Vietcong rechnen.

Das My Lai Massaker gehört zu den schlimmsten Kriegsverbrechen US-amerikanischer Soldaten. Ronald Haeberle wurde Zeuge und dokumentierte die grausamen Taten seiner Kameraden (Foto: Ronald L. Haeberle)

Am 16. März 1968 begleitete Haeberle als Fotograf eine US-Kompanie zu einem Einsatz. Die Amerikaner sollten das Dorf My Lai erobern, in dem sich angeblich Vietcong-Kämpfer verschanzt hatten. Es kam zu einem Massaker, dem wohl schlimmsten Kriegsverbrechen, das US-Soldaten je verübt haben. Binnen weniger Stunden töteten die Amerikaner mehr als 500 wehrlose vietnamesische Zivilisten, darunter kleine Kinder. Haeberle sah fassungslos zu. Und er fotografierte das Grauen. Seine Fotos von den Ermordeten - siehe das kleine Bild unten - sind die einzigen Bilddokumente von dem Gemetzel. Als er sie im November 1969 in seiner Lokalzeitung, dem Cleveland Plain Dealer, veröffentlichte, trug er dadurch maßgeblich dazu bei, dass das My-Lai-Massaker bekannt wurde.

Die Fotos von den freundlichen GIs steckte Haeberle daheim in sein Privatarchiv. 50 Jahre lagen sie dort, ein halbes Dutzend Archivmappen voller leicht verblasster Farbdias. Erst jetzt, fünf Jahrzehnte nach dem Massaker, hat er eingewilligt, einige zu veröffentlichen.

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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