Ausstellungen in Herford und Leverkusen:Alles Design ist gewalttätig

Hitler, der das erste VW-Modell streichelt. Ein 8000-Euro-Stuhl, der mit dem Vorschlaghammer in Form gebracht werden muss. Zwei Ausstellungen beschäftigen sich mit der Diktatur des Designs.

Ausstellungskritik von Till Briegleb

Max Borka hat keine so gute Meinung von Designern. Er hält sie für "allzu willige Diener jener höllischen Maschinerie, welche für die Gewalt auf der Welt verantwortlich ist." Und damit meint der prominente belgische Designexperte keineswegs nur die Gestalter von Drohnen, Handfeuerwaffen, Panzern und Tretminen. Borka kritisiert vielmehr die Haltung einer ganzen Branche von Schönmachern, die sich keinen Deut um die Konsequenzen ihres Tuns kümmerten. Beim Entwerfen attraktiver Produkte würden die Bedingungen der Herstellung in der Regel ebenso kategorisch ausgeblendet wie die Auswirkungen des Abfalls, den das ständige Streben nach dem Neuen in unvorstellbaren Mengen produziert.

Aus dieser Kritik an einem verantwortungslosen Berufsstand resultiert der harsche Kernsatz, den Max Borka über seine (mit Friederike Fast kuratierte) Ausstellung "Brutal schön" im Marta Herford setzt: "Alles Design ist gewalttätig!" Diese etwas pauschal klingende These illustriert die Schau mit diversen Kapiteln von der "gewalttätigen" Bearbeitung von Materialien bis zum modernen Mediendesign, mit dem tödliche Ereignisse unterhaltend verpackt werden. Wobei Borka auf mögliche Schockeffekte bewusst verzichtet. Er ist überzeugt, dass "in der Schlacht gegen die Gewalt Humor oft das bessere Mittel" sei. Und deshalb erzählt er lieber ironisch, pädagogisch und optimistisch von dem "zweiköpfigen Ungeheuer" Design, das stets das Gute will und doch das Böse schafft.

So begrüßt den Besucher der berühmte, 8000 Euro teure "Do Hit Chair" der holländischen Design-Marke Droog, der aus einem Stahlkubus besteht, den man mit dem Vorschlaghammer selbst in Form bringen muss (was teuer danebengehen kann).

Gleich dahinter erzählt ein amerikanisches Fernseh-Essay aus den Sechzigerjahren mit dem Titel "A Problem of Design - How to Kill People" die Form-Geschichte tödlicher Waffen. Von der persönlichen und oft kunstvoll geschmückten Schlagwaffe bis zum Atomkrieg beschreibt der Designer George Nelson die Gestaltung des Tötens mit durchaus sarkastischem Unterton als einen Prozess, der dafür sorgen soll, dass "wir nie wieder das Weiße in den Augen des Feindes sehen müssen".

Hitler streichelte einen VW-Käfer, die Hippies malten ihn bunt an

Dafür sehen wir jetzt das Weiße in den Augen eines fettleibigen amerikanischen Mädchens, das mit seinem ersten echten rosafarbigen Gewehr im Kinderzimmer posiert. Diesem Exponat aus der berühmten Serie "My First Rifle" der belgischen Fotografin An-Sofie Kesteleyn stehen Garderobenständer in den Umrissen des Stacheldrahtzauns von Auschwitz gegenüber (aus der "Holocaust Collection" von Ronen Kadushin).

Hitler, der das erste VW-Modell streichelt, teilt sich den Platz mit einem roten Spielzeug-Käfer, der in bunten Hippiefarben bemalt ist - so ideologisch chamäleonhaft ist das Design. Und in einem Illustrationsstil wie aus der Frauenzeitschrift erklärt Jan Pieter Kaptein seinen Imbissstand, mit dem er auf Musikfestivals den Hungrigen den ganzen Produktionszyklus vom Kopfabhacken bis zum fertigen Chicken-Sandwich zumutet. Andere Hühner haben es da besser, etwa "Frieda", ein psychotisches federloses Schlachtvieh, das der lustige Videoblogger Dave Hakkens auf einer Zuchtfarm erwarb und das bei ihm zu einem possierlichen Haustier werden durfte. Für seinen Blog "Story Hopper" ist Hakkens aber auch auf die größte Müllkippe für westlichen Technoschrott in Ghana, Agbogbloshie, gereist, um das brutale wie kreative Armengeschäft des Abfallrecyclings zu zeigen.

Bunte Show der Mahnung und des Schreckens

Doch auch diese dunkle Seite des Designs erklärt seine Zusammenhänge nicht in Klageform. Eher in Klangform. Das Jugendorchester Landfillharmonic, das hier ebenfalls vorgestellt wird, besteht aus Kindern des Müllkippen-Slums Cateura in Paraguay, denen der Instrumentenbauer Nicolás Goméz Geigen, Cellos und Klarinetten aus Ölkanistern und Fundholz gebaut hat, mit denen sie jetzt bezaubernd Vivaldi spielen.

Es ist tatsächlich eine bunte Show der Mahnung und des Schreckens, mit der dieses Kunst- und Designmuseum seinen eigenen Gegenstand ziemlich grundsätzlich infrage stellt. Die zentrale Botschaft an Gestalter und Konsumenten, ihr Herz dem sozialen statt dem Status-Design zu schenken, steht dabei in der Tradition eines internationalen Diskurses, der in den Siebzigern mit Victor Papaneks berühmter Streitschrift über die "gefährliche Rasse" der Produktentwerfer, "Design für die reale Welt", seinen Ausgang nahm, und dessen bekanntester Event heute der mit 500 000 Euro dotierte dänische Index-Award für Gestaltungen und Strategien ist, die "das Leben verbessern".

Den vielen kleinen Erfolgsgeschichten dieser Bewegung stehen aber immer noch die viel mächtigeren Gebote des Kapitalismus gegenüber, die letztlich jede Vernunft-Lösung zum Teil des großen Gewinnspiels degradieren. Wachstumsglaube und Konsumismus verschärfen täglich die Auswirkungen des Designs, die hier so angenehm spielerisch behandelt sind. Ob da Humor wirklich hilft?

Eine ganz andere Strategie der Design-Kritik verfolgt das Leverkusener Museum Morsbroich mit "Aufschlussreiche Räume - Interieur als Porträt". Statt destruktive gesellschaftliche Prozesse zu beschreiben, behandelt die von Fritz Emslander kuratierte Ausstellung den individuellen Widerstand gegen designkonforme Lebensführung.

Wer unseren ganz "persönlichen" Möbelgeschmack beherrscht

Die Arbeit Matthias Weischers, dessen Gemälde wundersame Kammern aus scheinbar beseeltem Interieur zeigen, hängt hier neben Miriam Bäckströms Fotoporträts aus dem Ikea-Museum im schwedischen Älmhult, die einem nochmals schauerlich bewusst machen, wer in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich unseren ganz "persönlichen" Möbelgeschmack beherrscht hat. Ralph Schulz, der nächtlings gestohlene Sperrmüllsammlungen als Zimmer arrangiert, Mark Manders, der seit 30 Jahren mit zahlreichen Objekten an einem "Self-Portrait as a Building" arbeitet, oder Bernhard Blumes Zeichnungsserie "Immobilien" mit strahlenden "Aura"-Möbeln erzählen von den Möglichkeiten des gestalterischen Eigensinns.

Ein Ausflug in die Vergangenheit zu Carlo Mollinos diskreter Nacktfotografie, die dieser skurrile Designer in den Sechzigern heimlich in den von ihm eingerichteten, aber nie bewohnten Wohnungen Turins betrieben hat, gewährt schließlich einen Blick auf die Sinnlichkeit und Intimität von gestaltetem Raum, die neben aller bösen Konsequenz eben auch fest verbunden sind mit der Attraktivität von Design.

Wie in Herford wird aber auch hier versucht, ein zentrales Versprechen des kommerziellen Designs, auf dem sein Erfolg beruht, zu entkräften. Der Erwerb von Waren garantiert nicht den Besitz von Persönlichkeit. Wenn das über jeder Shopping-Mall stehen würde, gäbe es vielleicht ein bisschen weniger Kinderarbeit, Klimawandel und Krieg um Ressourcen. Und wieder ein bisschen mehr zu lachen.

Brutal schön. Gewalt und Gegenwartsdesign. Marta, Herford. Bis 1. Mai. www.marta-herford.de. Aufschlussreiche Räume. Interieurs als Porträt. Museum Morsbroich, Leverkusen. Bis 24. April. www.museum-morsbroich.de. Katalog 26 Euro.

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