Gefahren der Atomtechnik:Entsorgte Sorgen

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Wer sich über Atomtechnik Sorgen macht, dem wird gern eine Atompsychose bescheinigt. Wie die Worte der Lobbyisten die Gefahren der Kernspaltung verharmlosen.

Claus Biegert

Bevor in der Wüste White Sands im US-Staat New Mexico die erste Atombombe gezündet wurde, bekam sie einen Namen: "Trinity" - "Dreifaltigkeit". Der Atomphysiker J. Robert Oppenheimer schien die Nähe zu den höheren Mächten zu spüren. Als am 16. Juli 1945 der erste Atompilz zum Himmel wuchs, musste er an das Hindu-Epos "Bhagawadgita" denken, bekannte Oppenheimer später, an Vischnu, der da sagt: "Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten."

Trinity oder der Beginn einer neuen Zeitrechnung: 16. Juli 1945, 12 Sekunden nach der Explosion der ersten Atombombe in New Mexico. (Foto: Foto: AFP)

Nach "Trinity" konnten die Namen nur noch banal ausfallen: die Bombe für Hiroschima nannte man "Little Boy", die für Nagasaki "Fat Man". Das Arsenal der Zerstörung wuchs und gleichzeitig der Wohlstand. Die Filmindustrie schuf die Sex-Bombe, die Atomindustrie fand in Präsident Eisenhower ihren Fürsprecher, der 1953 in einer Rede vor den Vereinten Nationen den Slogan "Atoms for Peace" in die Welt setzte. Walt Disney übernahm den Job der Volksbildung und kreierte in seinen Trickfilmstudios "The Friendly Atom", ein magisches Teilchen, das dem Menschen dienstbar war. In den siebziger Jahren steuerte die Industrie ihre eigenen Comics bei: "Atom, die Elektrizität und du" von der Commonwealth Edison Company, "Nur für reife Leser" von Westinghouse, "Micky Maus und Goofy lernen alles über Energie" von Exxon, "Die Geschichte der Elektrizität" von der Florida Power and Light Corporation, "Der Kampf ums Überleben - Der Kampf gegen die Umweltverschmutzung" von Virginia Electric and Power.

Während in Nordamerika der Uran-Boom einem Rausch glich, war man in der Sowjetunion vorsichtig: Uran für Moskau wurde verschleiert; die größte Mine, auf DDR-Boden gelegen, trug im Namen, was man offiziell vorgab, abzubauen: das Schwermetall Wismut. Die BRD hatte in dieser Zeit ihren ersten Minister für Atomfragen, Franz Josef Strauß, der es als seine Mission betrachtete, die "lichte Seite der Atomkraft" den Menschen näherzubringen. Als die US-Air Force ein Gerät entwickelte, mit dem sich Atomtests der Sowjets atmosphärisch feststellen ließen, setzte sie zum Test der neuen Technologie selbst radioaktive Substanzen frei. Das heimliche Manöver im Dezember 1949 trug den Decknamen "Green Run" - "Grüner Lauf". Heute ist die Farbe Grün eine politische, und es wundert nicht, dass beim Atomstrom die Stromerzeuger der USA seit Beginn des Jahrhunderts vereint von der "Green Energy" sprechen. Das signalisiert Nachhaltigkeit.

Gewichtige Rückendeckung erhält die Industrie von konvertierten Prominenten der internationalen Umwelt-Szene. Allen voran James Lovelock aus England, der Begründer der Gaja-Theorie, wonach der Planet Erde ein lebender Organismus ist; ihm zur Seite der Kanadier Patrick Moore, Gründer von Greenpeace. Wer die Erde retten will, muss in ihren Augen vorübergehend auf Kernkraft setzen.

In Deutschland hatte die Atomindustrie 1959 mit Gründung des gemeinnützigen Deutschen Atomforums e.V. ihre eigene PR-Agentur etabliert. Als das Atomforum am 1. Juli dieses Jahres, im Beisein der Bundeskanzlerin Angela Merkel, sein 50.Jubiläum feierte, bescheinigte Umweltminister Sigmar Gabriel dem Branchenverband ein "halbes Jahrhundert Lug und Trug". Das Forum, so der SPD-Politiker wörtlich, habe "keinen Propagandatrick und erst recht keine Kosten gescheut, den Deutschen die Atomkraft schmackhaft zu machen." Claudia Roth, Parteivorsitzende der Grünen, stufte den Verein gar unter die "gemeingefährlichen Lobbyverbände Deutschlands" ein.

Im Atomforum schüttelte man die "schrille und überzogene" Kritik ab. Zufrieden ist man dafür mit der letzten flächendeckenden Kampagne "Deutschlands ungeliebte Klimaschützer". Als Anzeigen und in einem kostenlosen Büchlein wurden die AKWs ins rechte Licht gesetzt, mit Schafen, Schrebergärtnern, Rübenbauern, Freibadenden im Vordergrund. Inzwischen wird das Argument "Kernkraft als Klimaschutz" international gehandelt, obgleich es seriöser Prüfung nicht standhält.

Wenn das Forum professionelle Hilfe braucht, so gibt man auf Nachfrage zu, dann arbeite man am liebsten mit der Agentur Deekeling Arndt zusammen. Wie eng das Verhältnis von Stromversorgern und PR-Agenturen ist, zeigt ein 109 Seiten starkes Strategiepapier, mit dem sich die Unternehmensberatung PRGS bei Eon bewerben wollte; das Dokument kam vor wenigen Wochen an die Öffentlichkeit. Man rät darin den Atomstromversorgern, sich ein Öko-Image zuzulegen. Erfolgreich sei eine Pro-Atom-Strategie dann, wenn "beharrlich mit dem Argument Klimaschutz und Versorgungssicherheit" der Schulterschluss zwischen Kernkraft und erneuerbaren Energien betont werde.

Geht es um radioaktiven Abfall, dessen Halbwertzeiten menschliches Zeitgefühl sprengen, dann ist von "Entsorgung" die Rede. Aus dem Weg geräumt wird mit derartiger Wortwahl vor allem die Sorge. Wer sich Sorgen macht, dem wird gern eine Atompsychose bescheinigt. Neueste Wortschöpfung ist die "Brückentechnologie". Brücken suggerieren Sicherheit, Brücken führen an ein anderes Ufer. Der Begriff täuscht die Anbindung von einer zur anderen Seite vor. Uranoxyd, das in den Handel kommt, heißt weltweit "Yellow Cake" - "Gelber Kuchen". Kein Signal der Vorsicht geht hiervon aus. Das abgereicherte Uran, das bei der Aufbereitung für die Reaktortauglichkeit abfällt, gilt nicht als Atommüll, sondern wird als Wertstoff eingestuft, da mit ihm panzerbrechende Munition produziert wird. Obgleich es die Kriegsschauplätze der Erde radioaktiv verseucht, fällt es nicht unter die Aufsicht des Schaltzentrale unserer nuklearen Gesellschaft: der International Atomic Energy Agency, kurz IAEA, in Wien. Sie wurde 1957 ins Leben gerufen, mit dem Mandat, radioaktive Spaltprodukte zu kontrollieren und die Verbreitung von Atomenergie voranzutreiben.

Die Bundesrepublik hat, wie eine Anfrage der Grünen unlängst offenbarte, bis heute 664,6 Millionen Euro an die IAEA gezahlt. In Anbetracht der bedrohlichen Lage im deutschen Zwischenlager Asse II vermutlich nicht für die Überwachung von strahlenden Substanzen, sondern für die Verbreitung deutscher Nukleartechnologie. Bei Asse II endet die Macht der Sprache. Hier liegen Fässer mit Plutonium vergraben; der Salzstock wird inzwischen von eindringendem Wasser in seiner Standfestigkeit erschüttert. Wir lesen dann vom "Erstickungstod für die Kernenergie" - wenn die Atomindustrie über strengere Endlagergesetze klagt. Asse II ist eine Parabel. Die Lüge der friedlichen Nutzung strahlt aus dem Erdinneren, wo noch vor wenigen Jahren unterirdische Gottesdienste abgehalten wurden, um der Radioaktivität mit dem Wort Gottes die Stirn zu bieten. Das Atomforum soll von 1997 bis 2002, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, fast 700 000 Euro an die Betreiberfirma gezahlt haben. Verwendungszweck: Öffentlichkeitsarbeit.

"Das Mineral der Apokalypse" verfolgt uns. Diese Sprachschöpfung stammt von dem amerikanischen Autor Tom Zoeller, der in seinem neuen Buch "Uranium" auf allen fünf Kontinenten der tödlichen Substanz aus der Erdkruste nachspürt. Wie lässt sich die Gefahr der radioaktiven Strahlung überhaupt nachfolgenden Generationen vermitteln? Hier verstummen die Agenturen, die Kunst des Kaschierens stößt an ihre Grenzen. Wahrscheinlich werden die Angehörigen einer fernen Zukunft nicht mehr unsere Sprache sprechen, die Signale für Gefahren können andere sein.

Der in Kanada lebende Fotograf Robert Del Tredici gründete 1987 die Atomic Photographers Guild und versucht seitdem, das Versagen zu visualisieren. Zu seinem umfangreichen Werk gehört ein Foto aus Idaho: Durch die Maschen eines Drahtzauns blickt man auf eine Handvoll Menschen, die zusammenstehen und Ratlosigkeit vermitteln. Es sind Wissenschaftler und Bürokraten, die in den neunziger Jahren nicht mehr wissen, wo die radioaktiven Materialien in den sechziger Jahren vergraben wurden, von denen jetzt Gefahr ausgeht.

© SZ vom 04.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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