Die Goncourt-Wahl am Mittwochmittag im Pariser Restaurant "Chez Drouant" war schwierig. Da von den beiden Favoriten - Kamel Daoud für den faszinierenden Roman "Meursault, contre-enquête" (SZ vom 23. Juli) und David Foenkinos für "Charlotte" - in der Endrunde sich keiner durchsetzen konnte, fiel die Entscheidung erst im fünften Durchgang zugunsten einer Außenseiterin, eine Außenseiterin nicht der französischen Literatur, sondern der diesjährigen Endauswahl.
Die 1948 geborene Lydie Salvayre hält mit ihren zwei Dutzend Büchern einen festen Platz - eher im Mittelfeld - der französischen Gegenwartsliteratur und gelangt mit dem Prix Goncourt nun zum ersten Mal zu breiter Anerkennung. Ihr im Seuil-Verlag erschienener Roman "Pas pleurer" (Nicht weinen) behandelt ein historisches Thema, wie übrigens auch die drei übrigen Kandidaten im Finale. Es geht in "Pas pleurer" um den spanischen Bürgerkrieg.
Als Sechzehnjährige im Bürgerkrieg
Die Mutter der Erzählerin, weitgehend auch der Autorin selbst, erlebt dessen Anfänge 1936 als sechzehnjährige Spanierin auf der Seite des republikanischen Lagers als ein Erwachen zur politischen Auflehnung, vergisst danach aber fast alles wieder. Der katholische Schriftsteller Georges Bernanos, der 1938 von Mallorca aus in seinem Pamphlet "Großer Friedhof unterm Mond" die Untätigkeit der Kirche gegenüber den Übergriffen der nationalistischen Falange auf die Bevölkerung scharf kritisierte, ergibt die andere Stimme im Roman. Zwischen dem anschwellenden Protest eines alten Konservativen und dem verklingenden Aufbegehren einer jungen Rebellin läuft im Buch der Bürgerkrieg ab.
Der Kandidat David Foenkinos ging hingegen nicht ganz leer aus. Statt des Goncourt hat er den am selben Tag vergebenen Prix Renaudot erhalten. Sein bei Gallimard erschienener Roman "Charlotte" erzählt die Geschichte der Berliner Malerin Charlotte Salomon, die im Alter von 22 Jahren 1939 auf der Flucht vor den Nazis nach Südfrankreich kam, dort vier Jahre später verhaftet wurde und im Konzentrationslager Birkenau starb.