FKA twigs:Ich und Melissa

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Die Musik klingt schroff, sie selbst zuweilen noch schroffer: FKA twigs aus dem britischen Gloucestershire. (Foto: dpa)

Warum "FKA twigs" die wichtigste Popmusikerin unserer Tage ist - und wie es ihr gelingt, sich den Regeln der Yellow Press zu widersetzen.

Von Jan Kedves

Die Hochzeit fällt doch nicht ins Wasser! Das war die Boulevardnachricht der Woche. Gemeint ist: Robert Pattinson wird nicht von seiner Freundin FKA twigs sitzengelassen. Zumindest sind sich die angeblichen Quellen aus ihrer Umgebung vorerst sicher. Pattinson, der in der Vampirserie "Twilight" den Herzensbrecher spielte, wird auf Schritt und Tritt von Paparazzi verfolgt, seit 2013 seine Beziehung zu Kristen Stewart, der Vampirin in spe aus derselben Serie, auseinanderging. Und FKA twigs, seit einigen Monaten die Neue an seiner Seite, wird von den Galas und OKs dieser Welt verdächtigt, nur mit ihm zusammen zu sein, weil sie ihre Musik erfolgreicher machen will.

Keine Sorge, wir sind hier immer noch im Feuilleton. Aber um die Faszination der Figur FKA twigs in den Griff zu bekommen, muss man schon auch miterzählen, dass es momentan ein enormes Tabloid-Interesse gibt, samt all der "süßen Liebesbotschaften", "bösen Trennungsgerüchte", 150 000-Dollar-Verlobungsringe und Trauungstermine, die von ihr angeblich immer wieder verschoben wurden.

FKA twigs selbst äußert sich zu all dem nicht. Auf Paparazzi-Fotos lächelt sie nie. Sie spielt das Spiel nicht mit - soweit das geht.

Aus künstlerischer Perspektive ist viel interessanter, dass FKA twigs sich überhaupt nicht beirren lässt. Das heißt, sie arbeitet auf verschiedenen Terrains - Musik, Tanz, Video - jeweils auf höchstem Niveau an einem Gesamtkunstwerk, das die Popwelt gerade nachhaltig beeindruckt. Tahliah Barnett, so der bürgerliche Name der 27-Jährigen, hat vor wenigen Tagen eine neue EP veröffentlicht, "M3LL155X". "EP" steht für "Extended Play", also das Brückenformat zwischen Single und Album, und "M3LL155X" ist ein Titel, der von Internet-Kryptografie inspiriert ist. Er steht für "Melissa".

Verzerrte Trip-Hop-Beats, aggressiv gerappter Gesang: Der Sound von "M3LL155X"

Die EP wird von einem bombastischen, 16-minütigen Musikvideo begleitet, bei dem FKA twigs selbst Regie geführt hat, und alles zusammen bildet den Nachfolger zu ihrem im vergangenen Jahr von der Kritik sehr gefeierten Debütalbum "LP1". Es war in England für den Mercury Music Prize nominiert, auf ihm waren eisig durchwehte, raffinierte R&B-Rhythmen mit ätherisch gehauchtem Gesang zu hören.

"M3LL155X" ist eine aufschlussreiche Veröffentlichung. FKA twigs wuchs in Gloucestershire als Tochter einer spanisch-englischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters auf. Würde es ihr tatsächlich - wie von den People-Magazinen unterstellt - darum gehen, ihre neue globale Bekanntheit in Charthits umzumünzen, wäre sie mit dieser EP grandios gescheitert. Die Musik, die sie in New York zusammen mit Boots aufgenommen hat - einem noch nicht sehr bekannten Produzenten, der zuletzt mit Beyoncé zusammengearbeitet hat - klingt noch komplexer, noch kryptischer als auf "LP1". Noch faszinierender. Die schroffen Trip-Hop-Beats sind verzerrter, ihr Gesang ist nicht mehr nur gehaucht und gesäuselt, sondern auch mal aggressiv herausgerappt ("In Time") oder an der Grenze zum Forte gepresst ("I'm Your Doll").

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"M3LL155X" klingt auch noch verschlüsselter als der Vorgänger - was ja zum Titel passt. Ein kleines Meisterwerk, das mit fünf Stücken die Durchschlagskraft und Schlüssigkeit eines Albums entwickelt. Wie sie das geschafft hat? Als FKA twigs vor einer Woche von der britischen Sunday Times interviewt wurde, interessierte die Journalistin vor allem, ob sie denn nun Hochzeitspläne habe. Tahliah Barnett antwortete: "Ich glaube, das hier ist mein letztes Interview" - und blieb danach sehr wortkarg.

Allgemein scheint es gerade, als erreiche die Genervtheit weiblicher Stars angesichts von Interviewfragen, die ins Private gehen und die Antwortenden auf ihre Weiblichkeit reduzieren, eine Art Umschlagspunkt. Soeben fiel der New York Times auf, dass Beyoncé Knowles vor einem Jahr aufgehört hat, vis-à-vis-Interviews zu geben. Mutmaßlich hat sie es satt, immer dieselben Fragen zu ihrem Mann, dem Rapper Jay-Z, und dem gemeinsamen Kind abzuwehren. Und Kristen Stewart, die Ex-Freundin von Robert Pattinson, nahm vor Kurzem mit ihrem Kollegen Jesse Eisenberg ein Video auf, das zum Hit wurde: Die beiden interviewen sich mit vertauschten Fragekarten gegenseitig, sodass Stewart die komplimenthaften Fragen gestellt beantwortet, die normalerweise an männliche Stars gerichtet werden ("Wie hast du dir die Muskeln für die Rolle antrainiert?"), während Eisenberg gefragt wird: "Bist du schwanger? Was hast du denn? Geht's dir nicht gut?"

Um zu FKA twigs zurückzukommen: Sie kann in Interviews sehr auskunftsfreudig sein - wenn man sie zu ihrer Arbeit und den künstlerischen Einflüssen befragt. So erzählte sie beim Apple-Radiosender Beats 1, als sie dort "Figure 8", die erste Single aus der neuen EP, vorstellte, sie habe sich nach dem Erfolg ihres ersten Albums und nach den Erfahrungen des globalen Tourens heimatlos gefühlt. Eine Zuflucht habe sie im Voguing gefunden, jenem Tanzstil, der aus der queeren Subkultur New Yorks stammt und von Madonna 1990 in der Single "Vogue" und dem dazugehörigen Video bekannt gemacht wurde.

Mit schwulen Voguing-Tänzern in New York zusammenzuarbeiten und sich von ihnen beibringen zu lassen, gleichzeitig "weiblich" und "empowered" zu tanzen, habe ihr eine neue Erdung gegeben. Und die dabei entdeckte weibliche Energie habe sie "Melissa" genannt: "Melissa ist kein komisches Alter Ego. Sie ist einfach meine Art, diese Energie von mir zu separieren."

Das sind private Einblicke, sicher. Aber von denen des Boulevards unterscheiden sie sich, weil sie künstlerisch durchaus relevant sind. Und weil die Künstlerin sie selbst zur Sprache bringt.

Bass, Rap und Soul

Am faszinierendsten ist weiterhin, wie FKA twigs' Einflüsse wie die des Voguing aufgreift, sie mit elektronischer Bassmusik, Rap-Elementen und Soul-Anleihen zusammenbringt, ohne alles zu sehr zu verdichten. Die Spannung in ihrer Musik - und auch in den Videos zu "M3LL155X" - entsteht dadurch, dass sie die im Grunde eher auseinanderstrebenden Elemente lose miteinander verknüpft. Gerade mal so, dass sie eine leichte Anziehungskraft zueinander entwickeln und einander gegenseitig in der Schwebe halten.

Sogar ihre Melodien scheint sie nach diesem Prinzip zu entwickeln. Sie klingen auch auf "M3LL155X" bisweilen wieder so, als müssten sie noch weitergeführt werden. Sie beginnen ohrwurmartig, brechen dann aber seltsam ab. Auf "LP1" dachte man, das läge eventuell an mangelndem Songschreibertalent, doch mit der neuen EP wird klar: Das gehört bei FKA twigs dazu, es schafft erst diese typische Spannung, dieses Verlangen nach mehr, diese Mischung aus Attraktion und In-der-Schwebe-Bleiben.

In den Tratschblättern würde diese Beobachtung totsicher zu Mutmaßungen führen, dass dies der Grund dafür sei, warum sie sich nicht fest binden will. Hier soll die Feststellung genügen, dass sich FKA twigs zu einer großen Künstlerin formt. Zumindest ist sie die größte, die es im Pop momentan zu hören und zu sehen gibt.

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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