Filmfestival Venedig:Der Louvre im Krieg

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Louis-Do de Lencquesaing als Louvre-Chef Jacques Jaujard. (Foto: Festival)

Alexander Sokurows Filmessay "Francofonia" im Wettbewerb erzählt vom Louvre im Zweiten Weltkrieg und zerbrechlicher Kunst.

Von Thomas Steinfeld

Der Film "Francofonia", der im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig um den Goldenen Löwen konkurriert, hat einen Erzähler. Er spricht ein besonders weiches Russisch, könnte mit dem Regisseur Alexander Sokurow identisch sein und ist manchmal im Bild zu sehen.

Dann tritt er in Gestalt eines älteren Herrn auf, der in seinem Arbeitszimmer herumkramt und über seinen Computer eine Verbindung zu einem Freund aufzubauen versucht, der ein paar Container mit Kunstgegenständen auf einem Frachter begleitet. Aber er macht auch dann keinen Hehl aus seinem Dasein, wenn er nicht zu sehen ist und nicht spricht: Er ist es, der die Szenen in diesem Film arrangiert, der zwar eine Geschichte erzählt, aber kein Spielfilm ist. Er ist es, der Filme aus den Archiven hervorholt, die von der Stadt Paris handeln, wie sie im Zweiten Weltkrieg von deutschen Soldaten besetzt war.

Er ist es, der "Marianne", die Allegorie der französischen Republik, und den Kaiser Napoleon als Filmgestalten lebendig werden lässt. Und er ist es schließlich, der auf den Gedanken kam, ein Museum zum Hauptdarsteller eines Films zu machen, der eigentlich ein Essay ist und doch über weite Strecken im Bild aufgeht.

Dieses Museum ist der Louvre. Das alte Königsschloss der Franzosen ist zwar nicht das älteste Museum der Welt, doch unter den ältesten ist es das größte und eines der herrlichsten. Der Film erzählt die Geschichte des Louvre in wenigen Stationen, vor allem aber ist er selber ein Besucher. Er verharrt vor den Federn der Nike von Samothrake, er sucht in den Porträts der italienischen Renaissance nach den Zügen längst vergangener Menschen, er erkennt die Erhabenheit der Kunst in der Tiefe der großen Galerie. Eine unendliche Verfeinerung und Befriedigung und ästhetische Verdichtung menschlichen Lebens erscheint in diesem Museum gefasst zu sein, so dass es am Ende wenn nicht Europa, so doch zumindest ganz Frankreich in sich bergen soll.

Da erweisen sich Kostbarkeit und Zerbrechlichkeit als eins, bei Kunstwerken und Menschen

An den zweifelhaften Grundlagen dieser Einrichtung lässt Alexander Sokurow allerdings niemals einen Zweifel: Seine "Marianne" ist ein fanatisiertes Wesen, das in einem fort die Formel "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" vor sich hinplappert, Napoleon ist ein Krieger und Räuber, obgleich von guten Ratgebern umgeben, und das Schiff mit seinen kostbaren Containern gerät in einen Sturm und geht vermutlich unter.

Von innen belebt aber wird diese Folge von Tableaus durch eine wahre Geschichte. Sie erzählt davon, wie im Jahr 1940 der für die französischen Kunstwerke verantwortliche Offizier der Wehrmacht und der Direktor des Louvre zu einer stets gefährdeten, aber von gegenseitiger Achtung geprägten Allianz zusammenfinden, um die Sammlung nicht nur vor dem Krieg zu retten, sondern auch vor dem nationalsozialistischen Deutschland.

Der Film folgt dem Leben dieser beiden Männer, er gibt ihnen ansprechende Gesichter, er vergleicht den glücklichen Zufall, der dem Louvre widerfuhr, mit dem Willen zur Zerstörung, der Leningrad und die Eremitage - die Sokurow in seinem Film "Russian Ark" durch die Zeiten hindurch erkundete - dem Erdboden gleichmachen sollte. Kostbarkeit und Zerbrechlichkeit erweisen sich dabei immer wieder als eins, bei Menschen wie bei Kunstwerken, und Regisseur Alexander Sokurow findet immer wieder neue Bilder von einer ebenso leichten wie surrealen Schönheit, um diesen prekären Verhältnissen gerecht zu werden.

Da fliegen brummende Bombenflugzeuge - auch sie sind hier ästhetische Objekte, wie bei Anselm Kiefer - über ein in Sepia getauchtes Paris, da lehnt Théodore Guéricaults "Floß des Medusa" in einem Kellergewölbe, das für jeden Menschen zu groß zu sein scheint, und so, wie Michelangelo Antonioni in seinem Kurzfilm "Lo Sguardo" von 2004 Michelangelos "Moses" betrachtet, so schaut Alexander Sokurow auf Tolstoi. Und jedes Mal, wenn das Pathos allzu heftig zu wirken beginnt, nimmt die Erzählung eine Wendung ins Burleske.

Dadurch etwa, dass ein modernes Auto durch eine historische Abschiedsszene fährt, oder indem eine dokumentarische Aufnahme vom Besuch Hitlers in Paris mit einer Tonspur unterlegt wird, in der jemand mit der Stimme des "Führers" fragt, ob die großen Bauwerke - der Eiffelturm, der Louvre - alle noch am rechten Platz seien.

Selbstverständlich ist das gebildetes Kino, aber die Bildung hat hier einen besonderen Sinn: Denn es gibt sie nicht ohne das Bewusstsein von Vergeblichkeit. Es ist auch dieses Bewusstsein von verlorener Anstrengung, das gebildete Menschen immer wieder zu einer angenehmen Gesellschaft werden lässt.

Und so ist zuletzt dieser Film: Man verlässt ihn mit dem Bedürfnis, ihn besser kennenzulernen.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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