Filmfestival Cannes:Geld spielt keine Rolle

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Die Macht desjenigen, der Menschen kauft: Mark (Channing Tatum, links) und John du Pont (Steve Carell, rechts) in "Foxcatcher". (Foto: dpa)

Der große Unterschied kleiner Gesten: Bennett Miller schafft es in "Foxcatcher", Ringen als liebevollen Sport und zugleich als Vergewaltigung zu zeigen. Es ist der bislang beste Film von Cannes. Dagegen schwächelt David Cronenbergs Hollywood-Bashing "Maps to the Stars".

Von Susan Vahabzadeh, Cannes

Der Himmel ist trüb über Cannes, mit graublauen Wolkenformationen - aber das macht nichts. Denn diese Stimmung passt zu dem bisher stärksten Film im Wettbewerb, einem, in dem nie die Sonne scheint: Bennett Millers "Foxcatcher".

Die amerikanischen Wettbewerbsbeiträge - neben Millers Film Tommy Lee Jones' Western "Homesman" und David Cronenbergs "Maps to the Stars" - liefen hintereinander, und die direkte Konkurrenz hat den beiden letzteren nicht gut getan. Weil man umso deutlicher sieht, dass Miller derjenige ist, der die Gegenwart hinter sich lassen kann und trotzdem sehr viel mehr zu sagen hat über das heutige Amerika.

"Foxcatcher" basiert auf einer wahren Geschichte, der Film setzt ein in den Achtzigern, in der trüben Phase nach einem Sieg: Der Ringer Mark Schultz (Channing Tatum) hat eine Olympia-Goldmedaille gewonnen, wohnt in einem trostlosen Appartement, ein Time-Titelblatt mit George Washington an der Wand.

Er trainiert mit seinem älteren Bruder Dave (Mark Ruffalo). Der hat auch eine Goldmedaille, und er hat den Jüngeren aufgezogen. Und wenn die beiden loslegen, kann man sehen, was Ringen eigentlich für ein zärtlicher Sport ist - wie der ältere, der besser weiß, wo es langgeht, den jüngeren Bruder abtastet, mit sanftem Druck in die richtige Richtung biegt. Eines ist schon mal sicher: So wie bei Bennett Miller hat man Ringen noch nie gesehen. Ruffalo ist in diesen Szenen so nuanciert, dass er einen Darstellerpreis verdient hat - wenn nicht in Cannes, dann hoffentlich anderswo.

Dann wird Mark eingeladen auf einen Landsitz in Pennsylvania. Dort sitzt vor ihm der jüngste Sprössling der du-Pont-Dynastie, die mit Schießpulver reich geworden ist, an der Wand hängt ein Bild George Washingtons. John E. du Pont (Steve Carell) hat beschlossen, sich das amerikanische Ringer-Team unter den Nagel zu reißen, Geld spielt keine Rolle. Er verkündet: Wir brauchen wieder Hoffnung in Amerika.

Bedrohlicher Gonzo

Du Pont, das alternde Kind, sieht mit seiner langen Nase und seinen eckigen Gesten ein bisschen aus wie Gonzo aus der Muppet-Show, aber seine Annäherung an Mark hat stets an eine bedrohliche Note. Die Mutter (Vanessa Redgrave), die auf dem Landsitz Pferde züchtet, darf Mark nicht ansprechen, informiert ihn einer von du Ponts Verwaltern. Da ist Mark schon mit allem, was er hat, nach Pennsylvania gezogen, hat sich du Pont mit Leib und Seele ausgeliefert.

Der verzogene, ungeliebte Junge du Pont versucht, seiner Mutter etwas zu beweisen - spielt sich auf als Coach, obwohl er keine Ahnung hat, verordnet sich selbst Siege, macht Mark erst zu seinem Co-Trainer und holt dann seinen Bruder an seine Seite. Von dem hat Mark anfangs gesagt, den könne er nicht kaufen - und wie es dann doch zustande kommt, dass Dave nach Pennsylvania zieht, mit Frau und Kindern, spart Miller aus.

Das macht er immer wieder: Er lässt kleine Gesten sprechen, macht wenig große Worte - und er lässt stehen, was sich der tiefgründigen Analyse widersetzt. Dave kommt, um den Bruder zu beschützen, des Geldes wegen, vielleicht beides. Genau weiß man es nicht, solche Entscheidungen trifft der Mensch allein.

Miller, der vorher schon mit "Moneyball" und vor allem mit dem ähnlich atmosphärisch dichten "Capote" gezeigt hat, was er kann, legt genau die Erzähl-Ökonomie an den Tag, die bislang viele Filme im Wettbewerb, auch die richtig guten, wie Mike Leighs "Mr. Turner", vermissen ließen.

Einmal holt du Pont Mark nachts aus dem Bett im Gästehaus, um zu trainieren. Und wie die beiden da unter den Porträts der Familie miteinander ringen - das sieht plötzlich wie eine Vergewaltigung aus, während die Kamera sich auf das ausdruckslose Gesicht von Mark zubewegt.

Das reicht völlig, um zu begreifen, wie groß der Unterschied ist zwischen dem brüderlichen Gerangel und dem, was du Pont, der sich gern "Golden Eagle" nennen lässt, mit den Menschen macht, die ihm gehören: Sie sich Untertan zu machen. Er wird auch den einen Mann unterwerfen, den er ohne Gewalt nicht brechen kann.

"Foxcatcher" ist ein Film über Macht und Machtmissbrauch, und über eine Gesellschaft, die von Geld regiert wird. Dem entzieht sich auch kein olympisches Team.

Einen Mutterkomplex wie du Pont hat auch Havanna Segrand, die etwas abgehalfterte Schauspielerin, die sich in "Maps to the Stars" von David Cronenberg eine neue Assistentin sucht. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, ihren Therapeuten Stanford (John Cusack) anzujammern, erscheint ihr Mama, die ein viel größerer Star war als sie selbst, die schöner war, erfolgreicher.

Kinderstar Benji wiederum, an dem alles glatt und trainiert ist und doch hässlich, dreht derweil wieder - er ist 13 und kommt frisch aus dem Entzug. Böses Los Angeles. Sein Problem: Sein Vater - Stanford, der Star-Therapeut - verrät nicht, was aus Benjis Schwester geworden ist, seit sie vor einigen Jahren das Haus angezündet hat - mit dem kleinen Benji drin. Dabei weiß Stanford bescheid, sie wurde aus einer Anstalt in Florida entlassen - und hat gerade als Havanna Segrands neue Assistentin angeheuert.

Schlichtes Holywood-Bashing

"Maps to the Stars" ist böse und witzig, aber oft auf eine Art, die nur weh tut, wenn man Hollywood so sehr liebt, dass einen all diese überambitionierten Heuchler nicht kalt lassen. Dass ein Filmset keine gute Umgebung für Kinder sein soll, hat man auch vorher schon mal gehört.

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Der Wettbewerb um die Goldene Palme läuft in Cannes 2014 einmal mehr ohne deutsche Beteiligung ab. Dafür sind internationale Großmeister vertreten - und in einer Nebenreihe feiert Hollywoodstar Ryan Gosling sein Regiedebüt.

Für einen Cronenberg-Film ist das Ergebnis deshalb vergleichsweise moralisch und etwas schlicht. Und irgendwie ist es dann auch merkwürdig, dass sich Cronenberg ausgerechnet für dieses Hollywood-Bashing eine solche Star-Besetzung geholt hat: Julianne Moore als Havanna, Robert Pattinson als Chauffeur, Mia Wasikowska als pyromanische Tochter.

Es ist faszinierend, wie Cronenbergs Geschichte über die Stadt der Träume und des immerblauen Himmels gerade deswegen so wenig über Hollywood hinausweist, weil sie diese Welt nie verlässt.

Am stärksten ist "Maps to the Stars" immer dann, wenn er die unglückseligen Sprösslinge nicht in einer klatschblatttauglichen Villenwelt zeigt, sondern nachts, wenn die Geister toter Kinder kommen, als würden sie bei anderen toten Kindern zum Spielen vorbeischauen. Die Isolation von der Wirklichkeit erschafft Zombies - Menschen wie John E. du Pont, von dem keiner je verlangt hat, erwachsen zu werden.

© SZ vom 20.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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