Im Kino:"Swiss Army Man" - Ein Debüt, das allen Furor wert ist

Dies ist der Film mit Harry Potter als furzender Leiche. "Swiss Army Man" ist trotz aller Flatulenzen eines der größeren Kinowunder der letzten Zeit.

Filmkritik von Tobias Kniebe

Dies ist der Film mit Harry Potter als furzender Leiche. In der Welt des Kinos eilt ihm ein ziemlich schräger Ruf voraus. Im alles entscheidenden Kampf um Aufmerksamkeit, dem sich heutzutage kein Kunstwerk mehr entziehen kann, ist das vermutlich ein Vorteil.

Am Anfang von "Swiss Army Man" sieht man bekritzeltes Treibgut im Meer dümpeln. "Bin auf einer einsamen Insel gestrandet", heißt es da. "Ganz allein und tödlich gelangweilt. Ich möchte sterben." Der depressive Robinson, der dann ins Bild kommt, sieht wirklich nicht gut aus: Die Haut gerötet, die Lippen aufgesprungen, Haar und Bart wild zerzaust.

Dann allerdings fasst er neuen Lebensmut, als er die Leiche eines jungen Mannes in der Brandung entdeckt - dunkelblauer Anzug, Krawatte, kariertes Hemd. Der Tote bringt Abwechslung, und er ist auch nicht gänzlich tot. Er furzt. Ständig entweichen ihm knatternde Gase.

Furzende Leichen kommen überall hin

Wie nun aus den Fürzen ein stetes Geblubber wird und aus dem Geblubber eine Art Druckluftantrieb; wie der Verschollene die Leiche zurück ins Wasser schiebt, sie rittlings besteigt, den Gasdruck hoch schaltet und dann wie mit dem Jetski durch die Wellen prescht, während triumphale Musik ihn antreibt, dass ist dann schon mehr als überraschend - es ist eines der größeren Kinowunder der letzten Zeit. Stille Tote kommen vielleicht in der Himmel. Furzende Leichen aber kommen überall hin.

Alles klar, denkt man an dieser Stelle: Diese einsame Insel liegt im Archipel des Gross Out-Kinos, das mit Furzwitzen, Sexkalauern und Körperflüssigkeiten beharrlich daran arbeitet, die Grenzen des Geschmacks immer weiter zu verschieben. In diesem Genre toben sich gern junge männliche Regisseure aus. "Swiss Army Man" ist das Langfilmdebüt von Dan Kwan und Daniel Scheinert, zwei Supernerds, die sich in den Credits zusammenfassend nur "Daniels" nennen - da scheint alles zu passen.

Sehr britisch und sehr erwachsen

Auch ihr bekanntestes Werk, das Musikvideo "Turn Down for What", weist in diese Richtung. Der Clip, den sie für die Rapper DJ Snake & Lil Jon gedreht haben, erreichte mehr als 500 Millionen Youtube-Views. Darin treiben sie den Körperkult des Hip-Hop auf die Spitze, entkoppeln Penisse und Brüste von den Bewegungen ihrer Besitzer und lassen sie im eigenen Rhythmus tanzen. Das sieht herrlich bizarr aus.

Eine gewisse Freude am provozierenden Körperkino, mit versteckten Schläuchen, pneumatischen Apparaten und animatronischen Gliedern, ist hier nicht zu leugnen. Allerdings wird der Film schon bald sehr viel reicher und vielschichtiger, als diese Details vermuten lassen. Denn Hank - so heißt der Gestrandete, den Paul Dano im Modus des staunenden Kindes spielt - braucht vor allem einen Zuhörer. Er beginnt, die Leiche mitzuschleppen und ihr alles Mögliche zu erzählen, und bald hat man das Gefühl, dass er nicht ohne Grund aus der Zivilisation geflohen ist. Der Müll, der überall herumliegt, lässt jedenfalls Menschen in der Nähe vermuten - sehr viel näher, als das bei einer echten Robinsonade der Fall sein dürfte.

Ahnungslos wie ein moderner Kaspar Hauser

Dann wird der Tote zunehmend untoter, spukt Wasser, öffnet die Augen, beginnt zu sprechen und wird auf den Namen Manny getauft. Daniel Radcliffe, der Harry Potter war und auch immer sein wird, spielt dieses Erwachen langsam, durch viele Stadien des Zombietums und der Gesichtslähmung hindurch - und es ist ihm herzlich egal, wie unvorteilhaft er dabei aussieht. Als echter Zauberlehrling des Kinos stellt er sich bedenkenlos in den Dienst der Sache, und gerade darin bewahrt er eine erstaunliche Würde. Das hat etwas sehr Britisches und Erwachsenes.

Manny jedenfalls ist ahnungslos wie ein moderner Kaspar Hauser, stellt aber die richtigen Fragen. Hank antwortet, so gut er kann - und will ihn dabei erkennbar vor den Fehlern bewahren, die ihn selbst in die Einöde getrieben haben. Bald geht es darum, was Frauen sind, warum sie Erektionen auslösen und wie man sie ansprechen kann. Daraus wird ein Rollenspiel mit fantasievollem Crossdressing, und schnell überschreitet die Intimität in dieser nekrophilen Freundschaft eine weitere Grenze des Unwohlseins.

Aber genau darum geht es - um das imaginäre Land, das jenseits allen Unwohlseins liegt. Um eine Geschichte, die eigentlich nicht provozieren will, sondern in aller Unschuld ihren Lauf nimmt, über sämtliche Konventionen hinweg. Und um ein seltsames Duo, das sich - kaum dass es beim Drehbuchschreiben erfunden war - nicht mehr kontrollieren ließ. So jedenfalls berichten es seine beiden Schöpfer, die ihren Helden durch alle Furzorgien, Leichengerüche, Masturbationsgespräche und Hetero-Hemmnisse hindurch gefolgt sind.

Aber ach, dieses Reich ist natürlich nicht von dieser Welt. Unter dem Strand des Paradieses liegt immer noch das Pflaster der Zivilisation, der Kultur und des Unbehagens. Dort wohnen Frauen, ohne die es nun mal leider nicht geht, die aber leider schon beim kleinsten Furz in Ohnmacht fallen. "Swiss Army Man" wird dieses Dilemma nicht verleugnen, aber auch nicht akzeptieren - und in dieser Entschiedenheit ist der Film dann wieder sehr jugendlich. Ein Erstlingsfilm eben, der dem Furor eines Debüts alle Ehre macht.

Swiss Army Man, USA 2016 - Regie und Buch: Dan Kwan, Daniel Scheinert. Kamera: Larkin Seiple. Mit Paul Dano, Daniel Radcliffe. Capelight, 97 Minuten.

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