Fall Cornelius Gurlitt:Seriöser Herr von nebenan

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Seit mehr als einem Jahr haben die Nachbarn des Appartmentblocks in Schwabing Cornelius Gurlitt nicht mehr gesehen. Auch von der Durchsuchung vor zwei Jahren will niemand etwas mitbekommen haben.

(Foto: REUTERS)

Jahrzehntelang hat Cornelius Gurlitt, der Spross einer Dynastie von Kunsthändlern, einen unglaublichen Bilderschatz gehortet. In seiner Umgebung will aber keiner etwas davon mitbekommen haben.

Von Jörg Häntzschel, Cathrin Kahlweit und Antonie Rietzschel

Dass noch viele Meisterwerke der Kunst auftauchen würden, die seit dem Dritten Reich verschollen sind, damit hatten Fachleute immer gerechnet. Doch auf einen Schatz von 1500 Werken, darunter Gemälde und viele Arbeiten auf Papier von Picasso, Matisse, Chagall, Franz Marc, Emil Nolde, Max Beckmann und Max Liebermann? Darauf war niemand gefasst.

Umso weniger, als Cornelius Gurlitt, der 80-Jährige, der diesen Jahrhundertschatz in seiner Wohnung in München-Schwabing vor den Augen der Welt verbarg, ein nahezu Unbekannter ist.

In München, wo er nicht gemeldet war, wo aber bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren in einer Wohnung am Hofgarten seine Mutter lebte, trat Gurlitt nicht öffentlich in Erscheinung. Er hatte offenbar weder Familie noch Beruf und lebte ausschließlich von gelegentlichen Verkäufen der Bilder. Die Nachbarn in dem modernen Wohnhaus in Schwabing, wo sein Name noch an der Klingel steht, haben Gurlitt seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen. Auch von der Durchsuchung der Wohnung 2011 und dem Abtransport der Bilder will niemand etwas mitbekommen haben.

Ermittlungen in Salzburg verliefen im Sande

Das wenige, was sich zu Gurlitt in Erfahrung bringen lässt, ergibt ein widersprüchliches Bild. Der Focus, der den Sensationsfund enthüllte, beschreibt ihn als Sonderling und pathologischen Messie, der Jahrhundertgemälde zusammen mit vergammelten Lebensmitteln gelagert habe. Emma Bahlmann, die die Münchner Filiale des Auktionshauses Lempertz leitet, hat ihn jedoch als "seriös" und "gepflegt" kennengelernt, als er nach dem Tod seiner Mutter und nach der Beschlagnahmung der bei ihm lagernden Kunst bei ihr Max Beckmanns Gemälde "Der Löwenbändiger" einlieferte. "Das hat meiner Mutter gehört, das habe ich geerbt", habe er versichert. Auf Fragen, ob er nicht noch weitere Gemälde verkaufen wolle, sei Gurlitt nicht eingegangen, so Karl-Sax Feddersen, der Justiziar von Lempertz.

Auch in Salzburg, wo Gurlitt gemeldet ist, verbindet niemand etwas mit seinem Namen. Sein verwunschenes Haus erscheint unbewohnt. Nachbarn erklärten, ihn dort seit Jahren nicht mehr gesehen zu haben. Auch bei führenden Galerien der Stadt hat man den Namen Gurlitt nie gehört. Laut Staatsanwaltschaft Salzburg soll in Sachen Gurlitt vor zwei Jahren ein Rechtshilfeersuchen der Kollegen in Augsburg eingegangen sein, Inhalt: mögliche Steuerhinterziehung. Doch die Ermittlungen verliefen im Sande.

Bislang ist nur ein einziger Fall bekannt, in dem Gurlitt seine Bilder verlieh: Die Gouache von Franz Marc, das der Focus dem Gurlittschen Konvolut zuschrieb, wurde 1963 mit dem Hinweis "Privatbesitz" im Münchner Lenbachhaus ausgestellt.

Kunst für das "Führermuseum"

Dass Cornelius Gurlitt fast ebenso unsichtbar sein konnte wie die Bilder in seiner Wohnung, ist umso erstaunlicher, als er aus einer Dynastie namhafter Künstler und Wissenschaftler stammt. Sein Großvater, der ebenfalls Cornelius hieß, war Kunsthistoriker und Architekt. Er wiederum war Sohn eines Landschaftsmalers und Neffe des Komponisten und Musiktheoretikers Gustav Cornelius Gurlitt. Auch die bedeutende Vormärz-Schriftstellerin Fanny Lewald gehörte zur Familie. Willibald Gurlitt, der ältere Sohn von Cornelius, war ein bedeutender Musikwissenschaftler. Die nun gefundenen Bilder gehen mutmaßlich auf dessen Bruder Hildebrand Gurlitt zurück, den 1895 in Dresden geborenen Vater von Cornelius.

Hildebrand Gurlitt verstand früher als die meisten die Bedeutung von Künstlern wie Max Pechstein, Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff. Zwischen 1925 und 1930, als er Direktor des König-Albert-Museums in Zwickau war, widmete er ihnen große Ausstellungen. Auch zum Bauhaus, von dem er das Museum neu gestalten ließ, unterhielt er enge Kontakte. Doch mit seinem entschlossenen Einstehen für die fortschrittlichsten Künstler seiner Zeit, machte er sich Feinde. 1930 wurde er als Direktor abgesetzt. Dass die Familie Gurlitt als "jüdisch versippt" galt, kostete ihn später seinen Posten als Direktor des Hamburger Kunstvereins.

Offizieller "Verwerter"

Dennoch wurde Gurlitt, der sich mittlerweile als Kunsthändler selbständig gemacht hatte, wenige Jahre später einer der offiziellen "Verwerter", der mit den in deutschen Museen beschlagnahmten Werken "entarteter Kunst" handeln durften. Außerdem beauftragte ihn das NS-Propaganda-Ministerium, im besetzten Frankreich Kunst für das geplante "Führermuseum" in Linz zu kaufen.

Dasselbe tat auch Hildebrands Cousin Wolfgang Gurlitt. Beide gehörten einer von Hitler persönlich eingesetzten Gruppe an, die das von ihm ersehnte "Führermuseum" in der Stadt, der er sich besonders verbunden fühlte, ausstatten sollte. Die Gurtlitts unterhielten enge Beziehungen zu Hans Posse, dem damaligen Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, und nach dessen Tod zu seinem Nachfolger Hermann Voss, die den Auftrag hatten, Kunstschätze für das Museum in Linz zu sammeln.

Dafür wählte Hitler persönlich Werke aus, aber auch Posse und andere "Einkäufer", darunter die Gurlitts, suchten Bilder zusammen, ganze Sammlungen wurden gekauft oder aber enteignet. Nach dem "Anschluss" wurden auch in Österreich Hunderte Werke sowohl für das "Führermuseum" wie auch zur Verteilung auf andere Museen beschlagnahmt. Diese Konfiszierungen nach 1938 wurden von Hitler umgehend unter einen "Führervorbehalt" gestellt, um den ersten Zugriff auf die hochkarätigen Sammlungen vor allem auch jüdischer Mäzene zu gewährleisten.

Nach dem Krieg versuchten sowohl Wolfgang als auch Hildebrand Gurlitt wieder Fuß zu fassen. Wolfgang zog nach Österreich, nahm dort 1946 die Staatsbürgerschaft an und war alsbald an den Verhandlungen über eine Galerie moderner Kunst - ausgerechnet in Linz (heute Lentos-Museum) beteiligt. Gurlitt war bis 1956 nicht nur Direktor des Museums Neue Galerie, es wurde auch nach ihm benannt, nicht zuletzt, weil er diesem seine Sammlung überlassen hatte. 1953 ging diese in Teilen an die Stadt Linz über. Die Herkunft seiner Werke war überwiegend schwer nachzuweisen; das Land nennt ihn heute eine "dubiose Figur" und ist immer wieder mit Restitutionsforderungen zu einigen vom ihm in der NS-Zeit erworbenen Bilder befasst.

Hildebrand wiederum, der aufgrund seiner teilweise jüdischen Herkunft und wegen seines Eintretens für die Kunst der Avantgarde für seine Machenschaften in der NS-Zeit nicht belangt wurde, amtierte noch einige Jahre lang als Leiter des Düsseldorfer Kunstvereins. 1956 starb er bei einem Verkehrsunfall. Seine Sammlung, so hatten er, seine Mutter und Wolfgang Gurlitt wie viele andere Profiteure der Kunstfeldzüge von Hitler stets beteuert, sei beim Dresdener Feuersturm 1945 vollständig verbrannt. Das war offenkundig eine Lüge.

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