Eurovision Song Contest:Zu viel Plastik war im Spiel

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Ein Norweger im Kellner-Anzug fiedelt sich in Moskau auf Platz eins - und der deutsche Beitrag floppt. Wieder einmal. Es bleibt die Frage: Woran hat es diesmal gelegen?

Frank Nienhuysen, Moskau

Es ist schon halb vier in der Früh, als Alex Christensen noch immer nach dem richtigen Schlüssel sucht und ihn doch nicht finden kann. Ratlos steht er da in Jeans und schwarzem Blouson und stellt Fragen, die doch eigentlich Antworten sein sollten. "Was muss man noch machen?", sagt er. "Vielleicht noch mehr CDs verteilen? Den Schlüssel, wie man zwölf Punkte macht, den kenne ich noch nicht. Könnt Ihr nicht mal bei den Osteuropäern nachfragen?"

Der Norweger Alexander Rybak fiedelte sich mit seinem Lied "Fairytale" auf den ersten Platz. (Foto: Foto: afp)

Gerade eben ist die Punktevergabe beendet worden beim Eurovision Song Contest in Moskau, und es ist wieder einmal nicht viel, was für Deutschland übrig blieb. Dass diesmal alle 42 angetretenen Länder ihre Ergebnisse verkünden durften, dehnte die Qual nur noch mehr, denn so mussten Christensen und sein Partner Oscar Loya erdulden, wie 30 Staaten das deutsche Lied "Miss Kiss Kiss Bang" gleich ganz ignorierten.

Punkte gab es nur aus elf Nationen, darunter jeweils sieben aus Großbritannien und Dänemark, 35 insgesamt. Platz 20 von 25 Ländern. Das war besser als der letzte Rang im Vorjahr, aber auch schlechter als ein einstelliges Ergebnis, das sich "Alex swings Oscar sings" vorgenommen hatten.

Vor ein paar Tagen hatte Christensen für sein Dance-Album "Euphorie" in Moskau noch Platin gewonnen. Er gilt als sehr erfolgreicher Komponist - roduzierte für Paul Anka, Right Said Fred, Tom Jones und Yvonne Catterfeld. Mit seiner Techno-Variante der Titelmelodie aus dem Film "Das Boot" erreichte er in 22 Ländern Platz eins.

"Platz 20 ist eine echte Niederlage"

Aber jetzt war Eurovision. Es ist schwer, in dem aufgeblähten Wettbewerb den Geschmack der Zuschauer an der Costa Brava, am Finnischen Meerbusen und dem Kaspischen Meer zu treffen. Auch der Auftritt der Burlesken-Tänzerin Dita Von Teese brachte nicht viel außer etwas Rummel am Rande. "Vielleicht ist es ein bisschen sehr viel Plastik gewesen", sagt Guildo Horn aus der deutschen Jury. Und so muss Christensen eingestehen: "Unser Auftritt war super, das Lied hat Qualität, aber Platz 20 ist eine echte Niederlage." Nun wolle er sich selber peinigen und ein großes Glas Wodka trinken.

Das deutsche Duo setzt außerdem vor allem auf den amerikanischen Markt. "In Deutschland haben wir das Lied ja nur mit der Brechstange ins Radio bekommen", erzählt Christensens Manager Volker Neumüller, der auch Jury-Mitglied der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" ist. Irgendwie habe es ein Gefühl gegen den Beitrag gegeben, gegen den amerikanischen Sänger Oscar Loya. Und auch gegen Dita Von Teese. Dafür seien Christensen und Loya in Amerika als einzige der Eurovisions-Teilnehmer bei Oprah Winfrey gewesen. Und auch bei CNN waren sie.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Alex Christensen über den Sieger-Beitrag aus Norwegen sagt.

Vielleicht lässt sich ihr neues Album "Heart 4 Sale" ja in Amerika gut vermarkten, aber in Europa darf erst einmal der Norweger Alexander Rybak abschöpfen. Er scheint den Schlüssel gefunden zu haben. Sein Lied "Fairytale" ist ein fröhliches Folklore-Feuerwerk, am Bühnenrand sprühten dazu die Funken-Fontänen, flott spielte er die Geige, sang auch noch gut und so riss er mit seinem schmissigen Folkloresong ganz Europa mit.

16 Länder gaben dem jungen Sänger in dem Kellner-Anzug die höchste Punktzahl. "Das war Weltklasse", sagt Alex Christensen, "er sieht gut aus, spielt gut, singt gut, ein Zauberkünstler".

Über den Sieger dürften viele Menschen in den westeuropäischen Ländern erleichtert sein. Rybak entkräftet den Vorwurf, vor allem die osteuropäischen Staaten bündelten kartellartig ihre Stimmen und schütteten sie ausschließlich über ihre jeweiligen Nachbarn aus. Norwegen kann nachbarschaftliche Beziehungen allenfalls zu Schweden, Finnland und im Nordostzipfel noch zu Russland pflegen.

Liveschaltung ins All

Russland hat als Gastgeber der Eurovision immerhin gezeigt, zu was es fähig ist. Ein aufwändiges, farbiges Bühnenspektakel hat es geboten, eine Liveschaltung zur Raumstation ISS und der Regierungsbeauftragte für den Musikwettbewerb, Alexander Barannikow, sagte, "wir haben allen bewiesen, dass Russland ein modernes und mächtiges Land ist". Europa werde es schwer haben, "uns beim nächsten Mal zu übertreffen".

Einige Homosexuelle konnten sich die Show allerdings wohl nicht mehr live ansehen. Sie wurden vorübergehend festgenommen. Es war Samstagmittag, als sich ein paar Dutzend Schwule trotz eines Verbots an den Sperlingsbergen versammelten, wo sich sonst Brautpaare vor dem Moskauer Panorama fotografieren lassen. Es waren nicht viele, und schnell wurden es noch weniger.

Den Organisatoren der Demo, Nikolaj Alexejew, packten gleich vier Sicherheitsbeamte an Händen und Füßen und brachten ihn in einen wartenden Bus. Auch der britische Menschenrechtsaktivist Peter Tatchell wurde mitgenommen. Als letzten traf es einen Amerikaner aus Chicago. Die Protestparade war bereits aufgelöst worden, als er noch ein Interview gab. Die Traube der Journalisten um ihn herum war dicht, doch zwei Beamte nahmen ihn entschlossen mit. Im Bus wurde er von anderen Demonstranten mit Applaus begrüßt.

Die Organisatoren der Parade hatten an die Künstler der Eurovision appelliert, den Grand Prix in der Moskauer Olympiahalle zu boykottieren, aber dazu waren diese natürlich nicht bereit. Nur die niederländische Gruppe "The Toppers" hatte erklärt, sie würde im Finale aus Protest nicht auftreten, sollte die Schwulen-Demonstration von der Polizei aufgelöst werden.

Doch es kam gar nicht so weit, "The Toppers" schieden im Halbfinale aus, und so blieb die Bühne vor allem dem Norweger Rybak, den Sängerinnen aus Island, Aserbaidschan, der Türkei und Patricia Kaas überlassen. Sie nutzten sie - und Gastgeber Russland war rundum zufrieden. Auch wenn die russische Vertreterin nur Platz elf erreichte.

© SZ vom 18.05.2009/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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