Einstein:Moment mal

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Der Große Tag der jungen Münchner Literatur bringt die Szene zusammen - in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit

Von Antje Weber

Es tritt auf: der König. Ihm voran trägt ein Diener feierlich zwei Keramik-Hunde mit eingebautem Tuschefass und Schreibfeder. Ihm hinterher trägt ein Diener eine Schleppe, die zum Tischtuch wird. Der König wirft Rosen, der König wirft beschriebene Blätter, der König trinkt. Dann setzt er sich regungslos auf seinen Thron in Halle zwei des Einsteins und lauscht dem, was da kommen möge.

Das ist schon mal kein schlechter Anfang für den Großen Tag der jungen Münchner Literatur. Angemessen entspannt ist die Kurz-Performance von Andreas Chwatal, der eine der Hallen des Einsteins speziell für das Lese-Event künstlerisch bestückt hat. In die Neben-Halle hat zum Beispiel seine Kollegin Judith Neunhäuserer eine Fotografie gestellt, auf der zwei Füße ein aufgeschlagenes Buch balancieren. Sehr dekorativ - lesen kann man so allerdings nicht. Doch an diesem langen Abend geht es ohnehin ums Hören.

Nach der Premiere vor zwei Jahren ist es an diesem Samstag das zweite Mal, dass sich die junge Münchner Szene in ihrer ganzen Fülle präsentiert. Beim ersten Mal, so erinnert sich Mitinitiator Tristan Marquardt bei der Begrüßung, "wollten wir zeigen, wie viel hier in München los ist - dem Publikum und den Autoren selbst". Nachdem das "wunderbar funktioniert" hatte, war eine Wiederholung schnell ausgemacht. Verändert hat sich zwar einiges, zum noch Größeren hin: Das Organisationsteam ist auf sieben Leute angewachsen, es lesen noch mehr junge Autoren - diesmal sind es stolze 64. Es sind neben Lyrik, Prosa und Spoken Word erstmals auch Theatertexte vertreten - und mehr Sprachen: Auch arabische, englische und spanische Texte werden von ihren in München lebenden Verfassern präsentiert.

Es ist sogar ein Heft entstanden, das alle Aktivitäten in der jungen Literatur der Stadt bündelt, von kleinen Slam-Bühnen bis zu großen Institutionen - ein "zukünftiges Standardwerk für München", frohlockt Mitorganisator und Hanser-Lektor Florian Kessler. Der Schulterschluss zwischen dem Nachwuchs und den Etablierten ist diesmal ohnehin noch sichtbarer als beim letzten Mal; das Literaturhaus und das Lyrik Kabinett sind Kooperationspartner, das Kulturreferat unterstützt; bereits bekanntere Autoren wie Lena Gorelik, Slammer wie Ko Bylanzky oder Lektoren wie Kessler moderieren. Um Auflehnung gegen das Establishment geht es also keineswegs bei diesem Zusammenschluss. "Nicht abgrenzen, sondern zusammenbringen" wolle man, sagt denn auch Mitorganisatorin und Literaturhaus-Mitarbeiterin Karolina Kühn.

Und das gelingt wieder bestens - nicht nur, wenn das Publikum wie bei der Slammerin Carmen Wegge mitmachen und "Ein Wunder!" brüllen muss. In jedem der Dreiviertelstunden-Blöcke mit je drei Autoren wird deren große Bandbreite offenkundig, in der Qualität wie auch in den Themen: Der Mädelsabend liefert ebenso Stoff wie der Einkauf im Supermarkt, Nachdenkliches über die Münchner Gegenwart ist ebenso zu hören wie die Zukunftsvision eines "Info-Abends zur Leihmutterschaft" in einer "Kinderanspruchsklinik". Das "schräge Gefühl von europäischer Desintegration" treibt dagegen einen Lyriker wie Jonas Bokelmann um, und die jordanisch-deutsch-amerikanische Autorin Amahl Khouri setzt gesellschaftspolitisch und global noch einen drauf und verhandelt in ihrem englischen Drama das Thema Transsexualität zwischen Schweden und Libanon.

Wer hier liest, der ist meist noch auf der Suche - wie Janine Adomeit, die gerade ihren ersten Roman fertiggestellt hat und nun konkret einen Verlag bräuchte. Vielleicht wird ja ein Agent auf sie aufmerksam, denn das Treffen ist bei aller äußeren Entspanntheit doch auch eine Leistungsschau, bei der unter den 600 Zuschauern so manche Scouts der Branche interessiert mithören. Autor und Hanser-Lektor Martin Kordić zum Beispiel ist sozusagen in Doppelfunktion hier; vor allem liest er - als "Weltpremiere", so Büro-Kollege Kessler - den Anfang seines gerade entstehenden zweiten Romans über die Liebe eines jungen Mannes zu einer älteren Frau.

Große Begeisterung entfachen an diesem Abend immer wieder die Poetry-Slammer, sie haben es natürlich auch leichter mit ihren eigens für die Bühne gedrechselten Fünf-Minütern. Und es gibt wirklich gute Bühnenpoeten in dieser Stadt; zum Beispiel die kunstvoll sprachspielende Meike Harms, die über das Thema Freiheit nachdenkt. Oder die erst 22-jährige Slammerin Fee, die klug und strahlend charmant die Frage "Wenn Schlau das neue Schön wäre" durchspielt. Und die danach noch ein "Mutmach-Gedicht" vorträgt, das perfekt zu diesem Abend passt: "Lass dir den Moment nicht rauben, du hast es geschafft, du bist hier", heißt es darin. "Schau dich an: Du bist hier. Wow!"

© SZ vom 30.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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