Eine Institution:Märchen für München

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Seit fünf Jahrzehnten empfängt Heinz Redmann Kinder und Eltern in seinem Theater. (Foto: Stephan Rumpf)

30 000 Vorstellungen, 6,5 Millionen Besucher und mehrmals kurz vor dem Aus: Das Theater für Kinder wird 50 Jahre alt

Von Barbara Hordych

Seit Jahrzehnten ist er aus dem Stadtbild nicht wegzudenken: der Zug der Kindergarten- und Grundschulkinder, die vormittags in Zweierreihen die Dachauer Straße entlanghüpfen, voller Vorfreude auf die Begegnung mit dem "Kleinen Gespenst", dem "Tapferen Schneiderlein" oder "Pettersson und Findus".

Es ist ein Weg, den viele der begleitenden Erwachsenen noch aus der eigenen Kindheit kennen: Er führt zu einem imposanten Gebäude, an dem rechts und links vom Eingang zwei steinerne Atlanten schwer zu tragen haben. Blau-grüne Majolika aus dem Jahr 1915 säumen das Foyer, auf den Reliefkacheln geleiten Figuren wie Pan, Faun und Nymphe die Zuschauer in den Saal. Die plüschige Atmosphäre des Zuschauerraums mit 360 Plätzen vervollständigt ein roter Samtvorhang, der sich nahezu täglich nach dem Gong hebt und den Blick frei gibt auf liebevoll gefertigte Kulissen: Auf der Bühne agieren Prinzen in dottergelben Strumpfhosen, Prinzessinnen in üppigen Rüschenkleidern, gesetzte Königin-Matronen, grell auflachende Hexen, tanzende Gnome, aber auch Tiger, Affen, Bären und diverses Federvieh.

"Eigentlich gibt es in München kaum etwas für Kinder", stellten Heinz Redmann und einige befreundete Kollegen vor gut 50 Jahren fest. So erzählt es der Gründer des Münchner Theaters für Kinder an einem Vormittag im Mai. Ungewöhnlich ruhig ist es im ersten Stock des Theaters, dort, wo sonst so oft an den Nachmittagen Geburtstagstische für kleine Gäste dekoriert werden. Geburtstag feiert das Theater in diesen Tagen selbst - mit einem Festakt zum 50-Jährigen am Sonntag, 21. Mai.

Der folgenreiche Satz fiel 1967, zu einer Zeit, als der ausgebildete Sänger Redmann noch in Operetten auftrat, in Regensburg, Detmold, Passau und Wien - "da habe ich auch gemeinsam mit Marika Rökk gesungen", erinnert er sich. Als Spielort kam ihm damals spontan das Theater an der Leopoldstraße in den Sinn, "dort hatte ich als Student an der Kasse gearbeitet, von daher kannte ich die Betreiber". Mit "Schneeweißchen und Rosenrot" eröffnete er 1967 seine private "Märchen-Bühne". Für sich selbst erfand Redmann die Figur des Spielmanns Hans, der fortan mit seinem Dackel "Guggi" zehn Jahre lang die kleinen Zuschauer durch alle Märchen begleitete. Zu den Stammschauspielern gehörten Volker Prechtel, der später in "Der Namen der Rose" mitwirkte, und die fränkische Schauspielerin Elisabeth Welz, die durch die Gerhard-Polt-Filme bekannt wurde. Die Nachfrage war so groß, dass er sich nach zehn Jahren für den Umzug in ein größeres Haus entschied: das damals leer stehende Kino Regina. "Bei der Renovierung hatten wir das Glück, dass das schöne Jugendstil-Interieur zu großen Teilen mit Pressspanplatten verkleidet war, die wir herausreißen konnten." Prominente Sponsoren wie Gustav Knuth, Rudolph Mooshammer und Maximilian Schell übernahmen Patenschaften für die Stühle in den ersten Reihen. 1977 war es dann so weit: Das Münchner Theater für Kinder eröffnete mit einer Vorstellung von "Pippi Langstrumpf".

30 000 Vorstellungen mit 6,5 Millionen Zuschauern sollten bis heute folgen, dazu kommen 7200 Gastspiele in Bayern, Österreich und in der Schweiz. Längst sind zu den Bühnenbearbeitungen der Märchen moderne Kinderbuchklassiker von Janosch, Preußler, Ende und Lindgren hinzugekommen. Trotzdem hat Redmann auch böse Albträume erlebt, die ihn ähnlich wie Prinzessin Schlafittchen in Michael Endes "Traumfresserchen" geplagt haben dürften. "Fünf Mal stand ich in der Vergangenheit vor der endgültigen Schließung", sagt Redmann. Zwar habe sich dann "immer jemand erbarmt und was gegeben, so dass ich weitermachen konnte, aber belastend war das schon", sagt der 74-Jährige.

Seit fünf Jahrzehnten empfängt Heinz Redmann Kinder und Eltern in seinem Theater. (Foto: Stephan Rumpf)

Unterm Strich belaufe sich die Förderung, die er und sein Haus erhielten, auf jährlich 400 000 Euro. "30 Jahre bekam ich nichts von der Stadt München", dieser Stachel schmerzt Redmann noch immer. Dafür erhielt er aber viele Jahre eine Förderung vom Freistaat Bayern. Mittlerweile gebe die Stadt 150 000, das Land 250 000 Euro. Vor zweieinhalb Jahren stand das Aus der Traditionsbühne bevor. Mieterhöhungen, steigende Betriebs- und Produktionskosten und Sanierungsarbeiten hatten zu einer immensen Schieflage geführt. Dazu hielt der Bayerische Oberste Rechnungshof seine Zuschüsse zurück, weil Redmann mit seinen Sozialabgaben und den Verwendungsnachweisen für bereits vom Kunstministerium gezahlte Gelder in Verzug geraten war. "Das war mein Versäumnis, ich habe die Buchhaltung vernachlässigt", gesteht Redmann ein und schüttelt sein Haupt mit den silberblonden Haaren. Er und seine zweite Frau Katharina - Mutter seiner drei Söhne und seit mehr als 25 Jahren die Darstellerin der Pippi Langstrumpf - seien immer "leidenschaftliche Theatermenschen" gewesen und "keine Bürokraten". Abermals nahte engagierte Hilfe. Diesmal in Gestalt des Unternehmensberaters Martin Krafft, der gemeinsam mit dem Insolvenzanwalt Alexander Grüte die rettende Idee hatte. Er gründete einen Förderverein und überzeugte Redmann davon, sein Privattheater in die Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH umzuwandeln, bei der er als künstlerischer Leiter angestellt ist. Die Buchhaltung wurde aus dem Haus gegeben.

"Das hat mich unglaublich entlastet", sagt Redmann. Kurze Unterbrechung. Eine Mitarbeiterin kommt hinzu und teilt mit, dass sich drei Schauspielerinnen krank gemeldet hätten. Dann müsse die Hotzenplotz-Vorstellung am Nachmittag wohl ausfallen, sagt Redmann. "Sehen Sie, das ist der Unterschied: Früher hätte ich mich furchtbar aufgeregt wegen der fehlenden Einnahmen. Heute tun mir hauptsächlich die enttäuschten Kinder leid". Wenig später tritt die Mitarbeiterin erneut an den Tisch. "Christiane ist fieberfrei und sagt, sie kann doch spielen." Redmann strahlt. "Gut, dann bekommen wir es hin. Die restlichen Rollen können andere übernehmen." Hotenplotz' Ausbruch aus dem Spritzenhaus ist damit gesichert.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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