Ein Plädoyer für Optimismus:Täglich eine Lösung

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Optimismus ist die Einstiegsdroge der Utopisten. Im 20. Jahrhundert wurden große Katastrophen durch Utopien ausgelöst. Was also spricht für eine optimistische Weltanschauung? Die Gründe.

Andrian Kreye

Der Optimismus hat einen schlechten Ruf. Aus gutem Grund, denn Optimismus ist die Einstiegsdroge für Utopien, und die haben nicht nur zu Albernheiten wie der Hippiekultur und dem Immobilienboom der Nullerjahre geführt, sondern gerade im vergangenen Jahrhundert große Katastrophen ausgelöst. Es sind daher auch vor allem die Europäer, die sich mit dem Optimismus schwertun, während man Amerikanern im Allgemeinen vorwirft, dass sie es sich mit dem Optimismus doch etwas zu leicht machten.

Es sind daher auch vor allem die Europäer, die sich mit dem Optimismus schwertun, während man Amerikanern im Allgemeinen vorwirft, dass sie es sich mit dem Optimismus doch etwas zu leicht machten. (Foto: dpa)

Diese transatlantische Kluft der Weltsicht hat aber zunächst einmal mit dem konträren Zeitgefühl der beiden Kontinente zu tun. Europäer empfinden die Gegenwart als Endpunkt der Geschichte. Amerikaner empfinden die Gegenwart als Beginn der Zukunft. Das hat nur wenig mit dem Klischee zu tun, dass Amerika keinen Sinn für Geschichte und Vergangenheit hätte. Dem könnte man die Sachbuch-Bestsellerlisten der New York Times entgegenhalten, auf denen regelmäßig gewichtige Biographien historischer Figuren auftauchen. Allein diese Woche finden sich da Werke über Cleopatra, Theodore Roosevelt, über einen Kriegsgefangen im Zweiten Weltkrieg und die Autobiographie von Mark Twain.

Und doch unterscheidet sich das amerikanische Interesse an Geschichte deutlich von der europäischen Obsession mit der Vergangenheit, die sich nicht zuletzt in der akribischen Feier von Jahres-, Gedenk- und Geburtstagen niederschlägt. Dieser stete Strom der Rückbesinnungen schafft ein seltsam morbides Geborgenheitsgefühl, das der Gesellschaft und ihren Bürgern stets die eigene Sterblichkeit vor Augen hält.

Wenn sich eine Gesellschaft so ausführlich mit ihrer Vergangenheit beschäftigt, bleibt oft nur wenig Raum und Zeit, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Vor allem, wenn es sich dabei um eine Zukunft handelt, die von Wissenschaft und Technik geprägt sein wird. In Amerika werden diese Disziplinen nicht nur mit großer Leidenschaft betrieben, sie sind auch längst die treibende Kraft intellektueller Debatten, die bisher die Domäne der Geisteswissenschaften und Theologie waren. Liest man Steven Pinkers Demontage der humanistischen Mythen in "Das unbeschriebene Blatt" oder die naturwissenschaftlichen Betrachtungen der Moral des Psychologen Jonathan Haidt, begegnet man einem Optimismus, der viel tiefer schürft als ein prinzipiell sonniger Ausblick aufs Leben. Er basiert auf dem unerschütterlichen Glauben, dass es für jedes Rätsel der Menschheit eine Lösung geben kann, die sich beweisen lässt.

Dieser wissenschaftliche Zukunftsglaube ist nun die Grundlage für eine neue Schule des Optimismus, die keineswegs eine amerikanische Domäne ist und sich deutlich von den utopischen Tendenzen des philosophischen Optimismus absetzt. Der britische Wissenschaftsjournalist Matt Ridley hat einen Begriff dafür gefunden: rationaler Optimismus.

Erfahren Sie auf Seite 2 die Gründe für die Stärke des rationalen Optimismus.

Ridley weiß sehr wohl um die Wurzeln des europäischen Pessimismus. Denn der ist ja keineswegs eine Mentalität, sondern baut auf historischen Erfahrungen. Das Kolonialzeitalter, die beiden Weltkriege, die Schreckensherrschaften der Nationalsozialisten, der Faschisten und Franquisten oder auch die Parteidiktaturen des Kommunismus haben das Misstrauen gegenüber der Zukunft in den Gesellschaften Europas über Generationen hinweg zementiert. Deswegen betrachtet Ridley in seinem Buch "The Rational Optimist. How Prosperity Evolves" (Fourth Estate, London, 2010 448 Seiten, 11,95 Euro) auch zunächst die Vergangenheit.

Optimismus ist ein Fazit von Beweisketten

Vergangenen Sommer begann er einen Vortrag in Oxford mit der Ausführung: "Als ich in den siebziger Jahren hier in Oxford studierte, war es um die Zukunft der Welt nicht gut bestellt. Die Bevölkerungsexplosion war nicht aufzuhalten. Globale Hungersnot schien unvermeidlich. Eine Krebsepidemie durch Umweltgifte schien unsere Lebenserwartung zu reduzieren. Saurer Regen entlaubte unsere Wälder. Die Wüste breitete sich mit einer Geschwindigkeit von zwei Meilen pro Jahr aus. Das Öl wurde knapp. Ein nuklearer Winter würde uns den Garaus bereiten. Nichts davon trat ein.

Erstaunlicherweise haben sich die Dinge alleine während meines Lebens zum Besseren gewendet. Das globale Durchschnittseinkommen hat sich pro Kopf verdreifacht. Die Lebenserwartung ist um dreißig Prozent gestiegen. Die Kindersterblichkeit ist um zwei Drittel gesunken. Die Lebensmittelproduktion ist pro Kopf um ein Drittel gestiegen. Und all das, während sich die Weltbevölkerung verdoppelt hat."

In seinem Buch betrachtet Ridley die unterschiedlichsten Phänomene und Zeiträume, er geht zurück in die Steinzeit und zurück zum Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre. Um immer wieder zum Schluss zu kommen, die Menschheit habe sich zu ihrem Besten entwickelt. So schreibt er: "Mein Optimismus ist keine Laune und keine Veranlagung, sondern das Fazit von Beweisketten." Und fordert: "Mehr Optimismus wagen!"

Ein zweites Schlüsselwerk des rationalen Optimismus wird der Evolutionspsychologe an der Harvard University, Steven Pinker, im kommenden Jahr veröffentlichen. In seiner "Geschichte der Gewalt" wird er nachweisen, dass die Gewalt historisch gesehen in den vergangenen fünfhundert Jahren weltweit kontinuierlich abgenommen hat.

Nun muss man nicht gleich in den finstersten Kapiteln der Geschichte schürfen, um gute Argumente gegen den Optimismus zu finden. Die durch und durch optimistischen Utopien der Hippie-Generation entpuppten sich schon bald als Gestus, der nur die Verdrängungsmechanismen einer Subkultur überspielte, die vor allem recht haben und lieber keine Verantwortung übernehmen wollte.

Die Essayistin Barbara Ehrenreich fand in ihrem Buch "Smile Or Die - Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt" (Verlag Antje Kunstmann, München 2010, siehe SZ vom 2.September 2010) die Wurzeln der Finanzkrise. Es sei ein fundamentalistischer Optimismus gewesen, der die Draufgängermentalität befördert hätte, die sich in die spekulative Hysterie der Nullerjahre gesteigert habe, schreibt sie.

Doch weder Ridley noch Pinker verleugnen die negativen Ausschläge der Entwicklungskurve. Beide haben ihre Bücher nicht geschrieben, um dem Kulturpessimismus eine besserwisserische Breitseite zu verpassen. Beide plädieren dafür, die positiven Entwicklungen der Menschheitsgeschichte zu studieren, um zu begreifen, was funktioniert hat. Der traditionelle Blick zurück auf Katastrophen und Probleme verstelle den Blick auf Lösungswege, die man auch in der Geschichte finden kann.

Das aber ist die Stärke des rationalen Optimismus. Fern jeder Form von ideologischer, kultureller oder esoterischer Hysterie sucht er nach einem neuen Denkansatz, der die beiden Extreme der transatlantischen Zeitgefühle ins Gleichgewicht bringt. Egal, wie langweilig Mittelmaß sein mag.

© SZ vom 03.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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