Editorial:Wortstark

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Neben den Autoren steht beim Literaturfest ein weiterer Star im Rampenlicht: die Sprache. Sie kann Halt geben und sie kann ihn auch nehmen.

Von Christopher Schmidt

Für den Dichter Gottfried Benn war das Verhältnis des Schriftstellers zum Wort primär; diese Beziehung, davon war er überzeugt, sei nicht lehrbar. "Sie können Äquilibristik lernen, Seiltanzen, Balanceakte, auf Nägeln laufen, aber das Wort faszinierend ansetzen, das können Sie, oder das können Sie nicht", schrieb er einmal. Gleichwohl verstrichen bei ihm selbst mitunter Jahre, bevor er die passende Fortsetzung für einen Vers fand. Schließlich wollte er das Wort nicht nur irgendwie, sondern faszinierend ansetzen. Damit formulierte Benn so etwas wie das hochartistische Gegenprogramm zu dem der diesjährigen Kuratorin der Reihe "Forum:Autoren".

Vom ambitionierten Kinderprogramm bis zur Begegnung mit Nobelpreisträgerinnen - das siebte Literaturfest München bringt Leser und Autoren drei Wochen lang an verschiedenen Orten der Stadt zusammen. Illustration: Sead Mujic (Foto: Sead Mujic)

Das Motto, das Elke Schmitter für den von ihr zusammengestellten Veranstaltungsparcours gewählt hat, lautet "ein wort gibt das andere". Doch gerade für den, der es kann, den Schriftsteller, ist es zugleich schwierig, die richtigen Worte zu finden; je höher der Anspruch, desto größer auch der Zweifel an sich selbst. Wie groß aber muss dieser Selbstzweifel erst für jene sein, die eine neue Sprache erwerben? Sprachkompetenz ist in der Flüchtlingsdebatte zu einem Schlagwort geworden, sie gilt als Schlüssel zur Integration.

"Damit etwas stehe, auf dem ich stehen kann", sagt Paul Nizon über seinen Impuls beim Schreiben

Vor diesem Hintergrund wirkt es seltsam anachronistisch, dass die Robert-Bosch-Stiftung den Adelbert-von-Chamisso-Preis aufgibt. Im kommenden Jahr will sie den Preis, mit dem seit 1985 deutsch schreibende Autoren nicht-deutscher Sprachherkunft ausgezeichnet werden, zum letzten Mal vergeben. "Mission accomplished", lautet die Begründung; der Kreis möglicher Kandidaten sei heute so selbstverständlich Teil der deutschen Gegenwartsliteratur, dass es dieser Förderung nicht mehr bedürfe. Sie habe sich auf die denkbar beste Art überflüssig gemacht. Obwohl der Sprachwechsel schon seit langem durch das Kriterium "Kulturwechsel" abgelöst worden ist, hat der Preis nicht seine Berechtigung verloren. Schließlich kommen weiterhin Migranten nach Deutschland, schließlich sind es vor allem Autoren, die in der Sprache ihrer Ankunftswelt, nicht in der ihrer Herkunftswelt schreiben, denen die Gegenwartsliteratur ihre vitalsten Impulse verdankt, Autoren wie Saša Stanišić oder Sherko Fatah, Terézia Mora, Olga Grjasnowa und Abbas Khider, allesamt Chamisso-Preisträger. Denn sie alle haben aufgrund ihrer Biografie ein besonderes Gespür dafür, dass ein Wort desto fremder zurückschaut, je näher man es ansieht, um es mit Karl Kraus zu sagen. Sie sind damit Exponenten dessen, was man mittlerweile als "neue Weltliteratur" bezeichnet, einer pluralistischen Literatur der unterschiedlichen Literaturen.

Die Äquilibristik, also die Kunst des Gleichgewichts, kann man lernen, behauptete Gottfried Benn. Aber nicht das Setzen eines Wortes. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Stand das letztjährige "Forum:Autoren" ganz im Zeichen der Flüchtlingskrise, so geht es diesmal um die Sprache selbst, ihre Möglichkeiten und Grenzen, um ihre Schnittstellen zu anderen Sprachen, aber auch zur Schrift und Musik und um den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken. Den Gegenpol zur dichterischen Freiheit bildet auf dieser Reise durch die Welt der Sprache und des Sprechens die Unfreiheit, das verbotene, unterdrückte Wort und das Wort als Schmuggelware unter den Bedingungen von Zensur und Diktatur.

"Am Schreiben gehen", nannte der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon seine Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Der Titel bezieht sich auf seinen "Schreibfanatismus", diesen "Krückstock, ohne den ich glatt vertaumeln würde". Denn auf die Frage, was er zu sagen habe, antwortete Nizon: "Nichts, meines Wissens. Keine Meinung, kein Programm, kein Engagement, keine Geschichte, keine Fabel, keinen Faden. ( ... ) Weder Lebens- noch Schreibthema, bloß matière, die ich schreibend befestigen muß, damit etwas stehe, auf dem ich stehen kann." Wie viel Halt die Sprache geben kann und wie viel sie uns nehmen muss - all das wird sozusagen als Staffellauf auf doppeltem Boden zu erleben sein, wenn beim Literaturfest ein Wort das andere gibt.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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