Dokumentarfilm:Der komplizierte Planet

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Dokus wie "Die Farbe der Sehnsucht" suchen nach Motiven, die alle Menschen vereinen. Aber lässt sich die Globalisierung durch eine Aneinanderreihung von Clips darstellen?

Von Philipp Stadelmaier

Es gibt Dinge, die es absolut nicht wert sind, gefilmt zu werden. Zum Beispiel, wie sich ein Münchner Abiturient aus bürgerlichen Verhältnissen vor der Kamera darüber beklagt, dass in unserer Gesellschaft "wahre Gefühle verloren gehen und alles rationalisiert wird". Wie die Liebe, zum Beispiel.

Nichts gegen München, bürgerliche Abiturienten oder die Liebe. Aber solch pseudointellektueller Nonsens geht gar nicht. Etwas mehr Liebe zu dem, was er filmt, hätte Regisseur Thomas Riedelsheimer diese Ausbeutung von Naivität untersagt. Denn so wird der arme Abiturient zum Klischee des dummen Jungen, der unbeholfen übers Leben philosophiert. Damit ist er in Riedelsheimers Dokumentarfilm "Die Farbe der Sehnsucht", der den Titel eines Groschenromans hat und Menschen auf der ganzen Welt porträtiert, nicht allein.

Es gibt, neben eben diesem Julius aus München, eine Frau in einem Armenviertel von Lissabon, die von ihrem harten Leben erzählt. Und eine verschleierte Frau in Katar, die von mehr Freiheiten träumt sowie eine sanftmütige japanische Dichterin. Nicht zu vergessen der heißblütige mexikanische Taucher, der sich bei einer schönen Señorita kaum zusammenreißen kann. Alle Protagonisten werden vor Riedelsheimers Kamera zu kulturellen Stereotypen, was gerade im Fall der Frau aus Katar ziemlich ätzend wird.

Den meisten dieser Dokus geht es um Überwältigung, nicht um die Analyse globaler Zusammenhänge

Mit der Frau, die davon spricht, dass ihr Körper nicht ihr gehöre und die von Liebe, Lust und Leidenschaft sinniert, zementiert Riedelsheimer das Klischee der unterdrückten, passiven Muslima. Dass muslimische Frauen (auch und gerade in dieser Situation) aktive politische Subjekte sein können, wird in weite Ferne gerückt. Wer sich auf globalem Feld bewegt, sollte die private, persönliche Gefühlsebene nicht zu sehr in den Vordergrund stellen. Denn die führt oft zu unpräzisen und gefühligen Verallgemeinerungen. Aber genau die betreibt Riedelsheimer durch ironiefreie Poesiealbumsprüche im Off-Kommentar: "Zwei küssen sich, und die Zeit hält den Atem an. Blau ist die Luft, die Ewigkeit öffnet ein Fenster." Was die verschiedenen Leute erzählen, erscheint belanglos, weil sie irgendeine triefende "Sehnsucht nach Liebe" illustrieren, die sie verbinden soll. Und wenn sich das so falsch anhört, dann weil ihre Lebensrealitäten vollkommen unterschiedlich sind und in viel komplexerer Beziehung zueinander stehen. Dass in einer vernetzen Welt alles miteinander zusammenhängt, ist klar. Aber damit sollte man es sich nicht zu leicht machen.

So hat der Film zumindest den einen Vorteil, dass er ein Musterbeispiel für die vielen Dokumentarfilme ist, deren Thema die Erde in ihrer globalen Dimension sein soll. Die unterdrückte Muslima, die reservierte Japanerin, der feurige Mexikaner: Je weniger Diversität gezeigt wird, desto schwächer und kitschiger das Band, das sie miteinander verbinden soll - in diesem Fall die Sehnsucht.

Ein ganz ähnliches Problem bemerkt man auch bei Yves Arthus-Bertrand, der seit einigen Jahren bildgewaltige Filme mit Titeln wie "Home", "Planet Ocean", "Human" oder "Terra" macht. Hauptprotagonisten dieser Werke sind der Mensch und die Natur. Im zuletzt in Deutschland herausgekommenen "Human" zeigt Arthus-Bertrand Porträts aller möglichen Menschen, die ihre Schicksale erzählen, um auf diese Weise das schiere Menschsein herauszustellen. Dabei fährt er zwar mehr und unterschiedlichere Figuren auf als Riedelsheimer. Doch man bemerkt auch, dass beim Versuch, den Menschen in all seinen Facetten zu zeigen, zwangsläufig ziemlich viele unter den Tisch fallen müssen. Nämlich all jene, die nicht zu den über 2000 Auserwählten gehören, die Arthus-Bertrand vor schwarzem Hintergrund als universale Exemplare der Gattung ausstellt.

So wirkt sein Bild des "Menschen" trotz hoher Diversität verengt, wie eine beworbene Marke. Ebenso einfältig bleiben die Aufnahmen, die ein Bewusstsein für Natur und Klimawandel schaffen sollen: Bilder von Städten und Menschenmassen, von Wüsten, Dschungeln und Meeren. Meist von oben gefilmt, aus der Vogelperspektive des gottgleichen Dokumentarfilmers. Es geht um Überwältigung, nicht um die Analyse globaler ökologischer Zusammenhänge. Arthus-Bertrands Dokus sind wie Reisekataloge, visuelle Touristenführungen an die exotischen Orte dieser Welt.

Die bereist man auch in Sigrid Klausmanns Doku "Nicht ohne uns", in der sie 16Kinder aus 14 Ländern wie Laos, Indien, der Elfenbeinküste, Jordanien oder Peru porträtiert. Von Exotik oder Stereotypen ist hier keine Spur. Klausmann macht deutlich, was den Jungen auf der österreichischen Alpenhütte oder das Schweizer Junggenie von dem südafrikanischen Kind mit Aids trennt, oder gar vom Mädchen aus der Elfenbeinküste, die mit Kinderarbeit aufwächst. Aber während sie die realen sozialen Unterschiede herausstellt, kombiniert sie gleichzeitig im Schnitt die Kinder so miteinander, dass sie eine Gemeinschaft bilden, die sich durch echte Vielfalt auszeichnet, noch in den Kinderschuhen steckt - und in die Zukunft gerichtet ist. Der Film endet mit der Schule, in die sie alle gehen (oder nicht gehen dürfen). Die mutet hier nicht an wie ein Ort der Erziehung, sondern wie ein Ort, der allein ihnen gehört, als Möglichkeit, Mittel und Wege zu finden, den Planeten in einen besseren Ort zu verwandeln. Was die Kinder der Welt untereinander verbindet, ist notwendigerweise vage, offen, ein schieres Projekt.

Eine echte Perle des Geo-Doku-Genres ist ,,I Want To See The Manager" von Hannes Lang. Das Thema des Films umreißt anfangs ein indischer Manager: die Verschiebung der geopolitischen Vormachtstellung des Westens hin zu Nationen wie Indien und China. Lang zeigt den alten Westen im Siechtum: Junge Thailänderinnen kümmern sich in einem Pflegeheim um alte weiße Menschen, ein amerikanisches Kryonik-Institut konserviert Leichen in Eis, in der Hoffnung, sie irgendwann wiederbeleben zu können. Außerdem schwärmt ein chinesischer Autoverkäufer vom Glück seiner Generation, während in Bolivien Lithium abgebaut wird: das Gold der Zukunft.

Die Lithiumfelder filmt Lang wie abstrakte Strukturen, die auf eine reale Entwicklung verweisen, aber auch rätselhafte Zeichen mit unbestimmter Bedeutung bleiben: Zeichen für globale Strukturen und Veränderungen, welche die Menschen glauben zu kennen, die aber undurchsichtig bleiben. Langs Kamera deutet damit Zusammenhänge an, belässt sie aber auch im Ungefähren. Denn was offen und vage ist, muss man nicht auf kulturelle Stereotype und Gefühlskitsch reduzieren.

Die Farbe der Sehnsucht, Deutschland 2017 - Regie, Buch, Kamera, Schnitt: Thomas Riedelsheimer. Piffl Medien, 92 Minuten.

© SZ vom 02.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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