Digitale Gesellschaft:Sehnsucht nach Menschlichkeit

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Über den "Techlash" diskutiert inzwischen die gesamte Gesellschaft. Damit kehrt Vernunft in die Debatte ein.

Von Johannes Kuhn

2018 entwickelt sich zum Jahr des Techlash. Die Wortschöpfung aus Technologie und "Backlash" (Gegenreaktion), umfasst drei Phänomene: die Kritik an der Marktmacht von Internet-Konzernen wie Google, Amazon und Facebook. Das Unbehagen an den sozialen Folgen von Smartphone-Dauernutzung und den ruppigen Ton im Netz. Und die Furcht vor Zukunftstechnologien wie KI und filigrane Robotik.

Über diese Themen diskutieren inzwischen Ökonomen, Programmierer, Wissenschaftler, Politiker und Anwender, also eigentlich die gesamte Gesellschaft. Das ist eine gute Entwicklung. In den unfruchtbaren Debatten der vergangenen zehn Jahre dominierten zu lange Technologie-Evangelisten auf der einen und Digital-Kritiker auf der anderen Seite.

Beide argumentierten nicht selten in Absolutismen: Technologie als Lösung für alles oder Technologie als Problem. Gemeinsam war ihnen dabei oft, dass sie politische, gesellschaftliche und ökonomische Kontexte ignorierten. Sie sahen eine utopische Zukunft aufziehen oder romantisierten die vordigitale Vergangenheit.

Der "Techlash" überwindet nicht nur diese Debatte, er nimmt explizit die beteiligten Firmen, Entwickler und Institutionen in die Verantwortung. Das entmystifiziert "Algorithmen" und die Mär von der gottgleichen Macht der Maschinen. Es sind Menschen, die Software pflegen und nutzen. Und es sind Menschen, die nach Lösungen suchen. Die vergangenen Monate haben zahlreiche Ideen zur wettbewerbsrechtlichen Regulierung von Technologie-Oligopolen hervorgebracht. Programmierer und Juristen diskutieren wiederum detailliert über die Ethik autonomer Systeme. Zugleich ist man sich immer einiger, dass die Entscheidungswege autonomer Software nachvollziehbar sein müssen. Zwar ist dies bei komplexen Systemen eine Herausforderung. Doch die rege Forschungsaktivität auf diesem Gebiet zeigt, dass sich bereits heute erfolgreich Kernanforderungen für künftige Computersysteme formulieren lassen.

Diese Neuordnung der Welt zu verstehen, benötigt Zeit

Auch die Diskussionen über soziale Medien drehen sich nicht mehr nur um emotionale Reflexe und staatlichen Regelungsbedarf, sondern auch um die tiefer liegenden Ursachen: um Verhaltenspsychologie hinter den Belohnungssystemen der Netzwerke, und um Bedürfnisse nach Bestätigung, Zugehörigkeit und einfachen Erklärungen, die dort bedient werden.

Diese Neuordnung der Welt zu verstehen, benötigt Zeit. Das exponentielle Wachstum digitaler Technologien setzt uns jedoch unter Druck. Wir wollen schon heute wissen, welche Auswirkung die Smartphone-Nutzung hat, auch wenn es an Langzeitstudien mangelt. Debatten über Marktmacht erwarten alle Branchen, in denen die Digitalisierung in Massen Datensätze und Kundenbeziehungen produziert, die Monopolisierung ermöglichen. Und die Folgen der Automatisierung will jeder kennen, der um seinen Job fürchtet oder gerade vor der Berufswahl steht.

Die Technologie-Firmen taugen dabei nur bedingt als Sündenböcke. Ihre aggressiven Wachstumsstrategien speisen sich aus der marktüblichen Dividenden-Optimierung. Auch für sie gilt die Logik neuer Wachstumsfelder: Die Auswertung privaten Verhaltens für zielgenaue Online-Werbung schafft schlicht einen weiteren Markt, in dem Firmen dafür bezahlen, uns neue Bedürfnisse einzuflüstern.

Dass die Rolle des Einzelnen dabei auf die des Konsumenten schrumpft, seine Aufmerksamkeit zu Geld gemacht wird, während seine Arbeitskraft immer austauschbarer erscheint, ist nicht nur Folge der Digitalisierung. Der Techlash ist vielmehr Symptom des Unbehagens an einem Fortschrittsgedanken, der praktisch nur noch ein ökonomisch-technischer ist. Die Forderung nach menschlicheren Technologien ist untrennbar verbunden mit der Sehnsucht nach einem menschlicheren Kapitalismus.

© SZ vom 21.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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