Die CDs der Woche - Popkolumne:Spott und Zerfleischung

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"Die Unsichtbaren" von Messer klingt nach einem Karussell aus Zivilisationsschmerzen und Verkündigungslust. (Foto: PR)

Ein Livealbum, das man dringend braucht: "Live From KCRW" von Nick Cave & The Bad Seeds. Billie Joe + Norah setzen mit ihrem Remake "Foreverly" zu sehr auf gutes Benehmen und die neue Messer-CD "Die Unsichtbaren" ist poetischer Hardcorepunk. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Joachim Hentschel

Nick Cave & The Bad Seeds

Es wurde schon mehrfach in dieser Zeitung geschrieben, wie 2013 unerwartet zum Jahr des Nick Cave geworden ist. Zur Triumphstunde eines Künstlers, von dem man dachte, man hätte ihn vorwärts und rückwärts begriffen. Aber der offenbar erst jetzt, mit 56, richtig hineingewachsen ist in die Rolle des anzugtragenden Sehers und zärtlichen Hangman, der erst quer durch Dornen, Schlick und sonstige Sekrete des Alten Testaments stapfen musste, um nun endlich bei der Bergpredigt anzukommen.

Langsame Gitarre und gespenstischen Chorgesang gibt es auf "Live from KCRW" von Nick Cave & The Bad Seeds. (Foto: N/A)

Sie heißt "Higgs Boson Blues", das erste Stück auf "Live From KCRW" (Bad Seed Ltd./Rough Trade), einem Album, das unter Konzertbedingungen im Studio eines kalifornischen Radiosenders aufgenommen wurde. Es ist kaum vorstellbar, doch die Version klingt noch besser als die von der Studioplatte: Als ob Cave nach einigen Wochen Tour erst richtig Vertrauen zu den eigenen Worten gefasst habe, zu der großartigen Geschichte, wie er im Auto nach Genf fährt, um im Cern-Institut nach dem Rechten zu sehen, auf dem Weg den toten Bluesmusiker Robert Johnson trifft und in einem versöhnlichen Schlussbild sieht, wie Miley Cyrus in einem Pool treibt, tot oder lebendig.

Die langsame Gitarre, der gespenstische Chorgesang seiner Männer packen einen links und rechts, und dann kommen ja noch neun weitere Lieder, unter anderem eine Freiland-Elektrodraht-Fassung seines alten 80er-Hits "The Mercy Seat". Ein Livealbum, das man dringend braucht.

Noch eine musikalische Rückeroberungspantomime, allerdings mehr als heitere Stunde auf der Veranda. "Foreverly" (Warner) ist ein getreues Remake des Albums "Songs Our Daddy Taught Us", 1958 von den Everly Brothers veröffentlicht, 2013 nachempfunden von Billie Joe Armstrong, Sänger der Punkrock-Trolltruppe Green Day, und Norah Jones, vorbildlich am Klavier sitzender Nachwuchsstar des Jazzlabels Blue Note. Wer weiß, warum sich dieses komische Paar des Erbes des US-Rockabilly annehmen soll - lustig wird es erst, wenn man bedenkt, dass die Everly-Platte ja selbst schon ein Remake war.

Zwölf Traditionals und Altväterstücke hatten sie damals neu interpretiert, auf der Höhe ihres Rock'n'Roll-Ruhms eine ähnlich aberwitzige Idee wie heute für Armstrong und Jones, die ihre Kunst natürlich über zahllose Umwege auch zu diesen Songs zurückverfolgen könnten. Zu "Barbara Allen", der zirpenden Liebesballade aus dem 17. Jahrhundert, zu Cowboy-Schaukelstuhl-Klassikern wie Karl & Hartys "Kentucky" oder "Oh So Many Years" von den Bailes Brothers. Natürlich gerieren sie sich hier als Traumpaar, nah dran an einem alten, klobigen Mikrofon, von Holzinstrumenten begleitet. Natürlich viel zu sehr auf gutes Benehmen bedacht, um dem Material einen neuen Aspekt abzuringen, trotzdem ist der Ansatz völlig richtig: Die alten Lieder müssen immer wieder gesungen werden, unbedingt auch mal von Stimmen, in denen etwas echte Gegenwart mitschwingt.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Dabei sind sie ja selten geworden, die Stimmen, die nicht nur mit sich selbst sprechen oder quasi-private Ich-und-du-Geschichten erzählen. Die Leute, die den Rest des Raumes ungalant niederbrüllen, jedem unmissverständlich klarmachen, dass sie gehört und beim Wort genommen werden wollen, auch wenn sie vor allem lamentieren. "Werde nichts mehr in den Strudel werfen, alles kommt von dort zurück", röchelblökt zum Beispiel Hendrik Otremba, Sänger der Münsteraner Band Messer, "meine Kleidung ist so schmutzig, und die Nächte sind so heiß."

"Die Unsichtbaren" von Messer klingt nach einem Karussell aus Zivilisationsschmerzen und Verkündigungslust. (Foto: N/A)

"Angeschossen" heißt dieses erste Stück des Albums "Die Unsichtbaren" (This Charming Man/Cargo), ein Gitarrenstakkato, das langsam und mit knirschenden Rädern auf einen zugerollt kommt - ein direkter Nachfahre des Jugendhaus-Hardcorepunk, mit Tattoos und Überzeugungen, aber poetisch fortgebildet. Die Songs heißen "Tollwut (mit Schaum vor dem Mund)", "Das Versteck der Muräne" oder "Die kapieren nicht" (ein Boris-Vian-Zitat), die Musik ist ein Karussell aus Zivilisationsschmerzen und Verkündigungslust.

Der angriffslustige Blick auf die Welt, herausgebellt mit dem Vokabular der Introspektion, und wer dabei ab und zu auch die Pathosliebe von U2 oder eine Punkrockversion von Kraftwerk heraushört, liegt nicht falsch. Der Sänger ist auch bildender Künstler, malt fahle Gestalten, die an Egon Schieles Bilder ebenso erinnern wie an die Karikaturen von Manfred Deix. Da liegt auch die Musik von Messer: zwischen Spott und Zerfleischung.

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© SZ vom 27.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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