Die CDs der Woche - Popkolumne:Souverän zusammengeschweißt

Die CDs der Woche - Popkolumne: Das Album "Otherworldly" (Disko B) von The Pyramids.

Das Album "Otherworldly" (Disko B) von The Pyramids.

Wenn Gefangene mit einer Uni-Band eine Platte aufnehmen: Das Soul-Jazz-Album "Hard Luck Soul" belegt, dass der richtige Moment manchmal mehr zählt als Virtuosität. Und es gibt noch mehr großartige Gemeinschaftsleistungen - zum Lesen und Hören in unserer Popkolumne, diesmal sehr jazzig.

Von Andrian Kreye

The Pyramids

Selbsterfahrung ist ein hässliches Wort aus den egoistischen Späthippiejahren. Doch weil der Modern Jazz seine Protagonisten schon so früh zwang, mangels gültiger Strukturen tief in sich selbst zu schürfen, gibt es kaum ein anderes Genre, das solche Reisen ins Ich so überzeugend umsetzte. Die Pyramids gehörten auf dem Gebiet zu den größten Abenteurern. Anfang der Siebzigerjahre taten sich drei Studenten vom Antioch College inspiriert von Gastprofessor Cecil Taylor zusammen, um mit freiem Jazz nicht nur sich, sondern auch ihre Herkunft auszuloten. Zwei ihrer Spätsemester verbrachten sie in Afrika.

Nach ihrer Rückkehr nahmen sie drei Alben auf, die im Geiste von Pharoah Sanders und Sun Ra das afrikanische Erbe und die amerikanische Gegenwart in epische Klangexperimente umsetzten, die sie mit klaren Beats und mächtigen Basslinien verankerten. Lange waren sie verschollen. Vor drei Jahren fanden sie wieder zusammen und tourten durch Europa. Dabei entstand im Tonstudio der Krautrockgruppe Faust das Album "Otherworldly" (Disko B), das nahtlos an die "kulturelle Odyssee" anschließt, die Saxofonist Idris Ackamoor und Bassist Kimathi Asante vor fast vierzig Jahren unterbrachen. Eine Box mit den ersten drei Alben erschien zeitgleich dazu.

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Wayne Shorter Quartet

Seit zwölf Jahren spielt der Tenor- und Sopran-Saxofonist Wayne Shorter mit dem Pianisten Danilo Perez, dem Bassisten John Patitucci und dem Schlagzeuger Brian Blade zusammen. Auf dem neuen Album "Without A Net" (Blue Note) steht er zwar deutlich im Mittelpunkt. Gleich zu Beginn dekonstruieren sie Shorters Komposition "Orbits", die 1967 Miles Davis Album "Miles Smiles" eröffnete. Das grenzt an Prahlerei, weil Shorter da vorführt, wie radikal er seine eigene Musik interpretieren kann, ohne die Struktur zu opfern.

Wayne Shorter Quartet

Das Album "Without A Net" vom Wayne Shorter Quartet.

Ähnlich funktioniert die akustische Version von "Plaza Real", die Shorter vor dreißig Jahren für das Weather-Report-Album "Procession" komponierte. Da beweist er sich als Titan. Doch letztlich zeigen die vier Musiker auf den neun live eingespielten Aufnahmen vor allem, dass es in der langen Geschichte des Modern Jazz nur wenige Gruppen gibt, die so fest zusammengeschweißt sind, wie Wayne Shorters Quartett.

José James

Die CDs der Woche - Popkolumne: José James' bisher bestes Album "No Beginning, No End".

José James' bisher bestes Album "No Beginning, No End".

Wenn es darum geht, sich selbst und die eigene Geschichte auszuloten, landet die Generation der nach 1970 geborenen Jazzmusiker oft in einer Grauzone zwischen Jazz, Soul und Hip-Hop. Der Pianist Robert Glasper hat das immer wieder sehr gut erklärt - wenn Popkultur ein so prägender Teil der eigenen Biografie ist, wäre es Verrat an sich selbst, sie bei der eigenen Arbeit auszusparen. Glasper spielt auch auf dem vierten und bisher besten Album "No Beginning, No End" (Blue Note) des Sänger José James.

Der bewegt sich inzwischen mit einer Souveränität zwischen den Genres, dass die Frage nach den Grenzen gar nicht erst aufkommt. Produziert hat er gemeinsam mit Pino Palladino, der auch den Unterschall-Bass spielt, der die oft kantigen Hip-Hop-Experimente des Schlagzeugers Chris Dave in ein festes Groove-Fundament einbettet. Flüchtig angehört steht José James souverän in einer Reihe mit Neo-Soulern wie D'Angelo und Erykah Badu. Doch ähnlich wie bei Robert Glasper und Esperanza Spalding ist die Musik viel zu raffiniert, um Pop-Reflexe zu bedienen.

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Ohio Penitentiary 511 Jazz Ensemble

Hard Luck Soul

Das Plattencover des Album "Hard Luck Soul" vom Ohio Penitentiary 511 Jazz Ensemble.

Eigentlich ist das Album "Hard Luck Soul" (Jazzman) des Ohio Penitentiary 511 Jazz Ensembles nur ein Kuriosum. 1971 besuchte die Ohio State University Band das regionale Gefängnis. Nach einer Session mit der Gefangenenband waren die Studenten jedoch so angetan, dass sie gemeinsam mit einigen der Musikern eine Platte einspielten, zu denen der Trompeter Renyard Birtha und Sonny Rollins Neffe Logan am Altsaxofon gehörten.

Das Jazzman-Label hat die Platte nun als CD veröffentlicht. Denn was sich da in der Gefängniskapelle entwickelte, ist trotz der bisweilen etwas ungelenken Rhythmusgruppe keineswegs nur ein Art-Brut-Dokument. Der Soul-Jazz ist vielmehr Beleg dafür, dass der richtige Moment manchmal mehr zählt als Virtuosität.

Fortlaufende Popkolumne der SZ.

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