Die CDs der Woche - Popkolumne:Sie ist der Boss

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(Foto: INTS KALNINS/REUTERS)

Sinead O'Connor hat sich in all den Jahren viel weniger verändert als normale Menschen. Spoon macht veritable Cornflakes-Jungsmusik. Und in der U21-Mannschaft der hiesigen Bandszene wächst ein guter Kader heran. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Scharnigg

Vorweg: Seit wann gibt es so viel Bohei um Festivals? Es fühlt sich an, als wären Coachella, Glastonbury und Wacken zum festen Bestandteil der jeweiligen Volksseele geworden. Bald wird Gauck Haldern eröffnen und die "Tagesthemen" werden über das Immergut-Line-up berichten.

Massenspektakel killed the radio star? Reicht das einzelne Konzert nicht mehr als Erlebnis? Müssen statt nur Musik auch immer noch andere Geschichten erzählt werden können? Angesichts des Haufens wüster Geschichten, die über Sinéad O'Connor in den vergangenen 20 Jahren so verbreitet wurden, kann ihr neues Album eigentlich gar nicht von ihr sein.

Es ist derart konzentriert und stringent, dass man unbedingt einen gefestigten Geist, eine ruhig komponierende Künstlerhand dahinter vermutet. Privat also mag die Sängerin labil sein, in der Musik scheint sie einen belastbaren Halt gefunden zu haben, den sie netterweise immer noch regelmäßig anderen zur Verfügung stellt.

Der Vorteil ihrer offenbar im Alltag tobenden Unruhe besteht darin, dass sie jede Menge zu erzählen hat und als Motor in ihr so eine unbeherrschte Urwut tuckert. Zu den sauberen, handelsüblichen Popmelodien auf "I'm Not Bossy, I'm the Boss!" (Nettwerk), die mal mit Saxofon, mal mit ein paar Beats oder gezähmten Rockriffs aufgelockert werden, erzählt sie, was ihr nicht passt und gibt praktische Hilfe zu den Themen Lebensverdruss, Sex und vierfache Eheführung.

Sehr achtbare Musik für Landstraßenfahrten

Diese Anleitung wird durchaus auch ironisch präsentiert ("See, I'm special forces / They call me in after divorces") und gar nicht in jenem belehrenden Ton einer in die Jahre gekommenen Pop-Diva, mit dem sie neulich einen offenen Brief an Miley Cyrus adressierte.

Nein, O'Connor liefert hier sehr achtbare Musik für Landstraßenfahrten im Regen, sie holt groß Atem, wütet, rätselt und vor allem singt sie mit ihrer schönen Stimme einfach weiter. Man kann es angesichts dieser Platte ruhig sagen: Sie hat sich eigentlich in all den Jahren viel weniger verändert als normale Menschen.

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Kontinuität trotz bordeigener Wildheit, das gilt auch für Spoon. Müsste man Bands eine Haptik zuordnen, bei Spoon wären es ja immer schon Sattelleder und eine Handvoll Cornflakes gewesen.

Die Gruppe aus Austin hat sich unter Teilnahme einer moderat wachsenden Fan-Schar in den vergangenen 20 Jahren einen musikalischen Pritschenwagen eingerichtet, mit dem sie relativ unbeirrt im Kreis fährt. Allerdings ist es ein ziemlich großer Kreis und auf dem neuen Album "They Want my Soul" (Epitaph) wurde er noch ein bisschen größer.

Instrumente gab es ja schon beim letzten Werk "Transference" zahlreich zu bewundern, und man erinnere sich nur an das Video zum vermaledeit guten Hirnholz-Hit "Underdog", in dem der sagenhafte Britt Daniel durch die Räume schlurfte und dabei nach und nach ein ganzes Indie-Orchester mit einband.

Jetzt ist der Sound immer noch so vielseitig, aber insgesamt etwas feinporiger, was gerade den Kontrast zu Daniels Shabby-Slang so besonders reizvoll macht. Er hat ja eine Stimme wie gut getrocknetes Birnbaumholz, leicht rissig, aber immer auch hell und freundlich.

Die Unsichtbaren unter den Großen

Wenn er seine Alltags-Abneigungen (denn darum geht es meistens) aufzählt und dazu die Band so dezent besoffen schlingert, ist es nicht eigentlich mehr Rock 'n' Roll, was entsteht. Es ist eher eine Form von urbanem Soulblues, ohne dass man im Labor in der Petrischale später lupenreine Soul- oder Blueskolonien entdecken könnte.

Nein, die Spoon-Mischung ist vertrackter, die kleine Hitsingle "Do You" vereint etwa Pavement-artige Gitarren und unrasierten Zimtfolk, und irgendwann muss man auch kurz an die alte Band Gomez denken, die brachte das auch einst so gut zusammen.

Was Spoon letztlich wieder abgeht, ist der eine Song, der das verstreut rumliegende Gold zu einem einzigen Barren schmilzt - und den Berg an wohlmeinenden bis hymnischen Kritiken der vergangenen 20 Jahre gleich mit. Sie bleiben die Unsichtbaren unter den Großen, stolpern vielleicht auch absichtlich immer drumherum. Egal, liebenswerte amerikanische Werkstattmusik, Jungsmomente, Cornflakes.

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Unterhaltsamer Hinterhof-Hauruck

Übrigens, in der U21-Mannschaft der hiesigen Bandszene wächst ein ganz guter Kader heran. Die Hamburger Bands Trümmer, Zucker und U3000 machen ihre ersten Schritte ausnahmslos vielversprechend, und aus Berlin schießt seit einiger Zeit das Kollektiv Chuckamuck Signalraketen in immer höhere Himmel.

Gerade hat die Band eine limitierte EP namens "Im Knast" (Staatsakt) vorgelegt, die man gerne jedem empfehlen würde, der aus Prinzip keine deutschen Indiebands hört. Unterhaltsamer Hinterhof-Hauruck! Geschmackvoll unambitioniert, klug getextet und vielseitig interessiert - das musikalische Abbild des Generationengemüts. Als wären Element of Crime und Ja, Panik mit Twitter großgeworden.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

© SZ vom 06.08.2014/tgl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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