Die CDs der Woche - Popkolumne:Nackt und gut gelaunt

Lesezeit: 3 min

(Foto: Star Trak)

Robin Thicke landet mit "Blurred Lines" einen absoluten Top-Hit, da jauchzt auch Pharrell Williams wieder cool. Im Video stehen die beiden zwar nur vor einer weißen Wand - zu sehen gibt es trotzdem überraschend viel. Außerdem: Scott Matthew und Empire Of The Sun.

Von Max Fellmann

Robin Thicke

Wir bemühen uns ja an dieser Stelle jede Woche um ausgewogene Urteile, besprechen ganze Alben, versuchen fair einzuordnen und . . . - nein, tut mir leid, Ausgewogenheit ist jetzt mal einen Moment ganz egal. Vergangene Woche standen der Kollege Jens-Christian Rabe und ich im Büro und schauten uns das Video zu Robin Thickes derzeitigem Nummer-eins-Hit "Blurred Lines" an (falls Sie selbst sehen wollen: die "Dirty" Version - gibt's aber nicht bei YouTube), und das machte auf der Stelle so gute Laune, dass ausgewogene Einordnungen total überflüssig schienen.

Der stumpfe Discobeat, der minimale Funkbass, die Prince-Chöre! Dazu Pharrell Williams, der, endlich wieder cool, Michael-Jackson-Juchzer und schmutziges Gebrumme zum Besten gibt! Das ist alles so gut und so klug, wirkt so souverän zusammengeschludert, dass man sich fast wundert, wie es mehrheitsfähig genug für Platz eins der Charts sein kann.

Und dann noch das Video: Sieht aus, als sei es für 100 Dollar an einem Nachmittag weggedreht worden. Vor einer weißen Wand sieht man Thicke und Williams, die cool tun und doch genau wissen, dass sie dabei eher wie nette Deppen rüberkommen, dazu drei wunderschöne Frauen, die ohne Grund, aber sehr gut gelaunt nackt herumhüpfen, und jede Menge sinnlos-surreale Bildideen (Warum läuft Thicke einer Frau mit einer riesigen Spielzeugspritze hinterher?).

Pop kann eben immer auch heißen: Wir verschaffen Euch einen Top-Moment, aber fragt jetzt nicht nach dem Warum. Das Video lief, wir wippten sehr vergnügte 4 Minuten und 20 Sekunden vor uns hin, in der Hoffnung, dass gerade niemand reinkommt, der den Ernst des Weltgeschehens diskutieren will. Nächste Woche veröffentlicht Thicke übrigens auch noch ein neues Album, aber darauf kommt's schon nicht mehr an. Er hat jetzt schon alles richtig gemacht.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Neben Bonnie Prince Billy, Iron & Wine und etwa 117 anderen ist Scott Matthew ein weiterer Vertreter der Bruderschaft Bärtige-Männer-mit-dünner-Stimme (deren Abt am ehesten der große Bon Iver wäre). Matthew ist Australier, lebt da, wo alle rauschebärtigen Hipster wohnen müssen, in New York, und hat jetzt nach einigen sehr schönen Alben mit eigenen Songs eine Reihe von Cover-Versionen aufgenommen.

Scott Matthew ist ein weiterer Vertreter der Bruderschaft Bärtige-Männer-mit-dünner-Stimme. Auf "Unlearned" klingt er nach intimen Momenten im holzgetäfelten Wohnzimmer - schön. (Foto: N/A)

Dass er kein Interesse an Originaltreue hat, konnte man sich fast denken, er macht alles, was er findet, zu Scott-Matthew-Songs. Wir hören also: sparsame Klavierakkorde, müde geschrammelte Akustikgitarren, Gesang mit brüchiger Stimme.

Was er auf "Unlearned" (Glitterhouse/Indigo) spielt, klingt immer nach intimen Momenten im holzgetäfelten Wohnzimmer. Er sprechsingt "Love Will Tear Us Apart" von Joy Division, er haucht "To Love Somebody" von den Bee Gees und er tupft "Harvest Moon" von Neil Young, alles sehr hübsch, aber das Glanzstück, das ganz allein den Kauf lohnt, ist Matthews Version von Whitney Houstons "I Wanna Dance With Somebody": Bei ihm wird daraus eine komplett eingebremste Ballade. Während das Original sagt, "Hey, lass uns Party machen", sagt Matthews' Version: "Es ist schon vier Uhr nachts und alle sind gegangen, aber komm, wir umarmen uns noch einen Moment und drehen uns ganz, ganz langsam im Kreis." Schön.

Manchmal will Popmusik große Momente schaffen, und manchmal will sie introvertierte Besinnlichkeit. Beides auf einmal geht nicht. Oder doch? Doch. Das australische Duo Empire Of The Sun setzt dafür auf einen alten Trick der Pet Shop Boys: Die zwei Produzenten nehmen großraumdiscokompatible Elektronik-Beats und Synthesizer, schichten das Ganze schön in Rave-Lautstärke übereinander, und ganz oben, wo andere Drill-Instructor-Geplärr hinsetzen würden, kontrastieren sie alles mit fast wehmütigem Gesang.

Und sie überdrehen bei all dem noch ein bisschen: die Synthesizer noch bratziger, die Bassdrum noch bölleriger, die Refrains noch größer, fast cinemascopebreit. Und während Neil Tennants Knabengesang dem Sound der Pet Shop Boys immer etwas Britisch-Distanziertes verleiht, erlaubt sich der Empire-Sänger Luke Steele gern reine Weinerlichkeit. Das ging schon vor drei Jahren, beim Riesenhit "We Are The People" verblüffend gut auf, und auch jetzt, in den besten Momenten des neuen Albums "Ice On The Dune" (Virgin/Universal), schaffen sie eine Stimmung, als würde man gerade am Rande einer rauschenden Abiturfeier ein kleines Teenager-Liebesdrama miterleben. Bittersüß.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Mouse den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie alle Alben, die bislang in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

© SZ vom 26.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: