Die CDs der Woche - Popkolumne:Harte Chansons und traurige Mädchen

Lesezeit: 3 min

Mit "Glück und Benzin" wagt Miss Platnum den Sprung vom Hip-Hop zum "harten Chanson". (Foto: Four Music)

Miss Platnum lässt den Hip-Hop hinter sich, Joan As Police Woman macht sich die Nacht zur Freundin und Madeline Juno will mit fragilem Herzpop zum Eurovision Song Contest. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Scharnigg

Miss Platnum

Wäre Ruth Maria Renner Schriftstellerin, hätte sie vermutlich schon ein paar der gut dotierten Mittelklasse-Preise abgeräumt. Ihre Herkunft von den Banater Schwaben plus Balkan-Lebenslust plus gut formulierte Berlin-Melancholie, das wäre in der Literaturszene eigentlich unschlagbar. In ihrem Metier und mit dem Kampfnamen Miss Platnum ist es ungleich schwerer, sich Gehör zu verschaffen, als eine der wenigen ernsthaften Damen im jungslastigen Hip-Hop-R'n'B-Club. Zuletzt leuchtete sie bei der erfolgreichen Zusammenarbeit im Projekt "Lila Wolken" mit Marteria, nun legt sie mit "Glück & Benzin" (Four Music) ein sehr ausgereiftes Werk vor, das kein männliches Zugpferd braucht und das deutlich nach Ausgängen aus der Schublade sucht.

Denn auch wenn die erste, starke Single "99 Probleme" noch eine Antwort auf Jay-Z ist, hat sie den Hip-Hop eigentlich hinter sich gelassen, oder besser, sie hat sich damit nur nicht mehr so lange aufgehalten. Auch mit überschwänglichen Partybeats, mit denen Platnum einst auftauchte, hat das alles nicht mehr viel zu tun. Stattdessen bietet die Platte so etwas wie harten Chanson. "Kleiner Schmerz", "Frau Berg" das sind dramatische, aber keine Sekunde peinliche Balladen, in denen Platnum mit ihrer großen Stimme die Tragik alter Lieben auslotet, sehr textsicher, sehr echt. Man merkt deutlich, dass hier bei der Vorbereitung Knef-Platten involviert waren. Mehrheitsfähig und seriös, Großstadtmusik für interessante Menschen.

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Man muss kein besonders begabter Prophet sein, um zu ahnen, dass 2014 das Jahr der Joan Wasser werden wird. Sie ist gerade einfach so gut. Und mit "The Classic" (Play It Again Sam) schafft sie jetzt das, was alle New Yorker Musiker versuchen und worauf die Welt bei allen New Yorker Musikern auch immer hofft: Mit ihrer Musik auszudrücken, was gerade eigentlich los ist. Wasser hat schon auf ihren früheren Platten, vor allem 2006 auf dem leisen Meisterwerk "Real Life" immer bewiesen, wie eigenständig sie komponieren und neben ihren Instrumenten Geige und Piano ihre irgendwie knotige Stimme in dichten Herzensangelegenheiten unterbringen kann. Etwas später hat sie das weite Rund des Soul betreten, stellt sich mit dem neuen Album nun ganz in die Mitte dieser Arena - und bespielt sie brillant.

Zeitlos zwischen den Genres: "The Classic" von Joan As Police Woman. (Foto: N/A)

"Witness", das Eröffnungslied, ist eine ebenso flamboyante wie abgezockte Promenadenmischung aus James-Bond-Titelsong und coolem Cityswing: großes Orchester, schwüle Streicher und in der Mitte Joan, die Dirigentin. Noch schöner ist der Übergang aus diesem opulenten Einstieg in die eigentliche Platte, so cool und urbannüchtern geht es mit "Holy City" weiter, ein Streichen auf der Snare, ein Taxi auf der Ausfallstraße und die Nacht ist Joan Wasser fortan eine gute Freundin. Dann passiert viel, das man Blues, Popchoral oder Songwritersoul nennen müsste, das aber vor allem irgendwie zeit- und herkunftslos wirkt, weil es ohne große Referenzen auskommt. Was sie singt, spielt, aufzieht kauft man ihr ab, taumelt mit ihr durch Lieder wie zerbrochene Parfümflakons, tankt ein paar Gallonen Lebensfreude und verdrückt dabei trotzdem Träne um Träne. Und am Ende dieser Platte hat man das Gefühl, man hätte gut gelebt. Was mehr kann zeitgenössische Musik leisten?

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Das wird komisch, wenn Madeline Juno am Donnerstag beim Vorausscheid zum Eurovision Song Contest auf Schreckschusspistolen wie Unheilig oder The Baseballs trifft - sie wird dann etwa so einschüchternd wirken wie ein Schmetterling am Flughafen. Die junge, sehr junge, Frau aus dem Schwarzwald wurde in den vergangenen Monaten zwar medial eingeführt und ergatterte auch einen Vertrag bei Universal, ihr fehlt aber immer noch jedes Talent zur Windmaschine. Das ist ganz gut, denn ihre Musik auf dem ersten richtigen Album "The Unknown" zieht gerade aus trotziger Solo-Traurigkeit und innigem Für-sich-sein die Kraft.

Herzpop vom traurigen Mädchen: "The Unknown" von Madeline Juno. (Foto: N/A)

Man sieht das traurige Mädchen - und glaubt's sofort. Es ist natürlich überhaupt nicht so, dass man derlei noch nicht gehört hat: fragilen Herzpop, samtiges Hinabsteigen in den Irrgarten der Teenie-Melancholie und etwa bei "Feel You" auch viel zu gefällig produzierten Radioschmalz. Aber sie vermeidet auf dem Album dann trotzdem viele Fehler, besteht trotz Majorlabel auf ihren Eigensinn und säuselt ihre große Gefühligkeit über weite Strecken so ernsthaft und klein über Keyboard und Gitarre, dass man sie dringend in den Arm nehmen möchte. Aber nett!

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© SZ vom 12.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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