Deutscher Alltag:Es klingelt, es brummt, es nervt

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Man weiß nicht genau, wann das Zeitalter von Stil und Höflichkeit zu Ende ging. Vielleicht waren jene schuld, die eine Einladung ins Restaurant als Stalking betrachten. In jedem Fall hat das Mobiltelefon den Grad der Zivilisierung erheblich herabgesetzt.

Kurt Kister

Man weiß nicht so ganz genau, wann das Zeitalter von Stil und Höflichkeit zu Ende gegangen ist. Gründe jedenfalls für sein Ende gibt es viele. Vielleicht waren daran jene schuld, die Krawatten für halbfaschistische Unterdrückungsinstrumente hielten. Möglicherweise auch die, die eine Einladung im Restaurant als Stalking betrachteten. Und in jedem Fall hat es mit denen zu tun, die sich am Gepäckband vordrängen, ohne ein Wort zu sagen, und natürlich auch mit denen, die im Zug so laut telefonieren, als gäbe es keine anderen Menschen.

Manche Menschen glauben, nicht mehr ohne Mobiltelefon auskommen zu können. Das sei ihnen unbenommen, weil es ja auch Menschen gibt, die an Ufos, Homöopathie oder die FDP glauben - und an manikürte Fingernägel. (Foto: dapd)

Apropos telefonieren: Es steht fest, dass das Telefon, das Mobiltelefon zumal, den Grad der Zivilisierung erheblich herabgesetzt hat. Schon das ortsfeste Telefon ist ein Privatsphärenstörer, weil jeder Tropf, der die Nummer hat, einen anrufen kann. Selbst wenn man nicht hingeht, klingelt es oder brummt oder leuchtet.

Schlimmer noch ist das Mobiltelefon. Man nennt es hierzulande Handy, so als ob es ein niedliches, pelziges Wesen wäre, das man gern mit sich herumträgt. In Wirklichkeit ist es eine mit Pestilenzbakterien behaftete Ratte, die sich in der Sakkotasche festgebissen hat.

Nun gibt es Menschen, die glauben, nicht mehr ohne Mobiltelefon auskommen zu können. Das sei ihnen unbenommen, weil es ja auch Menschen gibt, die an Ufos, Homöopathie oder die FDP glauben.

Das Problem dabei ist nur, dass die Mobiltelefon-Junkies auch ihre Mitmenschen ähnlich in Mitleidenschaft ziehen, wie dies zum Beispiel die Raucher tun. Das liegt nicht nur daran, dass man allerorts dem Kommunikationskompost der Telefonierer ausgesetzt ist. Weil die Telefonsucht so um sich greift, wird mittlerweile das Telefon bei Gelegenheiten betriebsbereit gehalten, die nicht fürs Telefon gemacht sind - übrigens war es früher mit dem Rauchen ganz genauso.

In fast jeder Konferenz wurde vor 20 Jahren geraucht. Heute liegen an jedem Platz die Brummteufel. Und während einer spricht, tippen vier unter dem Tisch auf ihren angeblichen Smartphones herum, was manchmal so aussieht, als frönten sie Onans Laster.

Wenn man die Unterdemtischtipper anspricht, behaupten sie, sie müssten auch während dieser Konferenz mit Herrn Braun oder Frau Müller "in Verbindung bleiben". Das gehe nicht anders. Früher, als es die Brummteufel noch nicht gab, ist das zwar auch anders gegangen. Früher aber hätte man sich auch geschämt, wäre plötzlich während eines Gesprächs aus der eigenen Hosentasche ein Klingeln aufgestiegen. Heute schämt sich deswegen kaum mehr jemand.

Schon gar nicht die, die von sich meinen, sie seien so wichtig, dass sie Sklaven ihres Telefons sein müssen.

© SZ vom 30.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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