Der Mensch und sein Monster:Gräulicher Wurm, fliegendes Untier

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Wissenschaftler der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität beschäftigen sich mit Drachen in der Kultur

Von Barbara Hordych

Das Untier schwebte in der Luft und war fast eine Meile lang. Es war groß wie ein Berg, der Kopf gefiedert und der ganze Körper mit Schuppen bedeckt, die es wie ein Panzer oder wie eiserne Schilde schützten. Flanken und der Rücken waren rußgeschwärzt; die hellere Bauchseite "glänzte wie Schwefel". So berichtet der Abt Arnold des Klosters St. Emmeram im Jahr 1030 (De miraculis II, 22) von seiner Sichtung eines Drachens. Derlei Beschreibungen von Drachen sind allerdings mitnichten eine Erfindung des Mittelalters. Sie reichen bis weit in die Antike zurück. Denn der Drache wurde nicht als bloße Sagengestalt angesehen, die von Heroen bezwungen sein wollte, die Menschen hielten ihn für durchaus real. Und klassifizierten ihn in wissenschaftlichen Enzyklopädien wie im "Buch der Natur" von Konrad von Megenberg oder in John Johnstons "Historia naturalis animalium".

Die Sichtweise des Menschen auf das feuerspeiende Wesen hat sich mittlerweile gewandelt - inzwischen fungiert er in der Fantasy-Literatur vielmehr als Begleiter auserwählter Menschen. Das vielschichtige Verhältnis von Mensch und Drache beleuchtete jüngst die Tagung "Figurationen des Drachen als das Andere in der Kultur", die Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität unter Markus May auf Schloss Blutenburg organisierten. Die Ergebnisse sollen in Buchform erscheinen.

Griechischer Heros

Schon der griechische Perseus-Mythos enthält alle Ingredienzien, die für das Erzählmuster im Verhältnis Mensch und Drache über Jahrhunderte hinweg entscheidend sind: Einem Orakelspruch gehorchend, soll die Königstochter Andromeda dem Ungeheuer Ketas geopfert werden, weshalb sie nackt an einen Felsen am Meer gefesselt wird. Als das Ungeheuer auf Andromeda zuschießt, um sie zu verschlingen, erbittet sich der auf einem Schiff zufällig vorbeisegelnde Perseus für den Fall der glücklichen Rettung von den verzweifelten Eltern Andromedas Hand. Prompt bekommt er nicht nur diese, sondern auch das ganze Königreich versprochen. Der viktorianische Zeichner Edward Burne-Jones malte in seinem "Perseus-Zyklus" um 1880 ein elegantes Seeungeheuer, mit dem der berühmte Heros aus der griechischen Mythologie beim Kampf gleichsam Rhönrad fährt. Das Bild wirkt wie ein schnörkeliges Initial aus der mittelalterlichen Buchmalerei, in Farbe und Bewegung verschmelzen Mensch und Monster fast miteinander.

Wehrhafter Engel

In der Johannes-Offenbarung erscheint ein roter Drache mit sieben Köpfen, der eine Gebärende verfolgt und ihr Neugeborenes fressen will. Im Himmel nimmt Erzengel Michael den Kampf gegen ihn auf: "Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt" (Offenbarung, Kapitel 12). Es sei das erste Mal, dass es eine Verbindung zwischen einem Drachen und dem Teufel gebe, stellt die Referentin Norina Auburger in ihrem Vortrag über "Heilige Drachentöter" fest. Fortan würden Drachenkampf-Erzählungen zu Geschichten des Kampfes von Gut gegen Böse.

Sagenhafter Siegfried

In der Sagenwelt werden Drachen meist als Schlangen oder fliegende Untiere beschrieben, die Schätze horten und Menschen fressen. Nur durch mutige Drachentöter können sie bezwungen werden. Ein solcher ist der stolze Jüngling Siegfried - Sigurd in der nordischen Mythologie - der auf einen "greulichen Wurm" trifft, der, Feueratem vor sich herstoßend, aus der Höhle kriecht. Trotzdem gelingt es Siegfried, das Untier zu bezwingen - wofür ihm eine vielfache Belohnung winkt: Er wird durch das Bad im Blut der Bestie unverwundbar (bis auf eine kleine Stelle, die ein Lindenblatt bedeckt), gewinnt den Nibelungen-Schatz und enorme Berühmtheit.

Unglücklicher Tristan

Auf seiner Suche nach Isolde muss Tristan gegen einen Drachen antreten, den er nur unter großen Mühen bezwingen kann. Als Lohn gebührt ihm dafür die Hand der schönen Königstochter. So will es der königliche Eid ihres Vaters: "swer ime benaeme daz leben, er wolte im sine tohter geben, der edel und ritter waere" heißt es in Gottfried von Straßburgs höfischem Versroman. Doch Tristan muss Isolde an seinen Onkel Marke, für den er auf Brautwerbung ging, abtreten. "In der Logik des damaligen Erzählschemas zum Drachentöter besagt diese Geschichte aber, dass Isolde eigentlich für ihn bestimmt war", erklärt Referentin Andrea Schindler in ihrem Vortrag "Wieviel Drache braucht ein Held?" zu Tristan, dem unglücklich Liebenden.

Christlicher Drachentöter

Der heilige Georg ist ein Märtyrer mit einer langen Leidensgeschichte. Trotzdem ist er eher bekannt als Drachentöter und Befreier von Jungfrauen denn als Märtyrer und Christ. In der Georgslegende belagert ein Drache ein Dorf, frisst erst die Schafe, später die Söhne und Töchter der Bewohner. Als die Königstochter an die Reihe kommt, betet sie zu Maria - und prompt erscheint Georg, der auf "Aventiure" unterwegs ist. Er spießt den Drachen auf - heiratet aber nicht die Königstochter. "Schließlich ging es primär um eine Demonstration der Kraft, die dem Glauben innewohnt. Da muss es als Belohnung genügen, dass im Anschluss viele Dorfbewohner zu Christen werden", sagt Norina Auburger.

Heldenhafte Bezwingerin

In eine ausweglose Lage gerät Margareta von Antiochia, wie in den "Legenda Aurea", einer um 1265 entstandenen, sehr populären Sammlung von Heiligenlegenden, berichtet wird: Ein heidnischer Kommandant will sie heiraten. Willigte sie ein, müsste sie sich mit ihm zusammen den heidnischen Zeremonien unterwerfen. Das aber wäre Verrat an Jesus Christus. Sie aber bekennt ihren Glauben und wird dafür ins Gefängnis geworfen. Dort bedroht sie ein großer Drache. Margareta wehrt sich, indem sie das Zeichen des Kreuzes über dem Untier schlägt und es so vertreibt. Noch heute erinnere der volkstümliche Merkspruch "Barbara mit dem Turm/ Margareta mit dem Wurm/Katharina mit dem Radl/Sind unsere drei heiligen Madl" an eine der wenigen weiblichen Drachenbezwingerinnen, sagt Auburger.

Das Untier ganz real

Die wunderbar gezeichneten Drachendarstellungen aus John Johnstons "Historia naturalis animalium" bilden um 1650 so etwas wie das Bindeglied zwischen Legende und Wissenschaft. Johnston war Arzt und ein europäischer Universalgelehrter, der zwölf Sprachen verstand und zahlreiche Bücher schrieb, von denen besonders die naturwissenschaftlichen Werke erfolgreich waren. Johnstons größtes Projekt, die "Historia naturalis", mit der er eine umfassende, allgemein verständliche, illustrierte Darstellung der Pflanzenwelt, des Tierreichs und des Menschen beabsichtigte, blieb allerdings unvollendet.

Den Drachen reiten

"Auch in der heutigen wissenschaftlich aufgeklärten und durchtechnisierten Welt ist die Faszination des Drachen ungebrochen", stellt Markus May fest. Mittlerweile sei er sogar zum "Auserwähltenstigma" avanciert, sagt Referent Christian Ehring. "Wer ihn reiten kann, ist für besondere Aufgaben auserkoren", erklärt er in seinem Vortrag über die Rolle der Drachen in "A Song Of Ice And Fire", einer Fantasy-Buchreihe von George Martin, die als Fernsehserie "Game Of Thrones" weltbekannt ist: Die junge Daenerys Targaryen bringt darin drei kleine Drachen zum Ausschlüpfen - und ist fortan unanfechtbar als "Mutter der Drachen" zur Herrschaft prädestiniert.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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