"Camille - verliebt noch mal" im Kino:Von der Zeit zerzaust

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Kann Camille ihre Sorgen auf der Silvester-Party hinter sich lassen? (Foto: Movienet)

Hommage an die Kraft der Jugend: In "Camille - verliebt noch mal" begibt sich Noémie Lvovsky auf eine Zeitreise und sucht zugleich nach der verlorenen Leichtigkeit des Seins, als sie 16 Jahre alt war.

Von Rainer Gansera

Noémie Lvovsky, die hier nicht nur Regie führt, sondern auch selbst die Titelrolle spielt, hat etwas Koboldhaftes, Zerzaustes, Irrlichterndes. In ihrer äußeren Erscheinung wie in der inneren Geste. Sie liebt das Burleske, treibt es ungeniert bis ins Alberne, kann aber auch zarte Töne anschlagen und sich philosophischer Melancholie hingeben. In skurriler Maskerade verbirgt und offenbart sie das autobiografische Bekenntnis. Französisches Autorenkino in der Tradition der Nouvelle Vague. Ihr fünfter Spielfilm ist eine Zeitreise in die Adoleszenz, auf der Suche nach der verlorenen Leichtigkeit des Seins.

Der Prolog zeigt die vierzigjährige Camille im Scherbenhaufen ihrer Lebensträume. Ihre Jugendliebe Eric hat sie nach fünfundzwanzig Jahren verlassen und in ihrem Beruf als Schauspielerin muss sie sich mit Minirollen in trashigen Horrorfilmen abfinden. Ein Midlife-Crisis-Albtraum, aus dem nur ein veritabler Kino-Wunschtraum befreien kann. Vorbote der märchenhaften Wende ist ein geheimnisvoller Uhrmacher, den Jean-Pierre Léaud verkörpert. Ein bewegender Auftritt Léauds, Erinnerung an die Zeit, als er in Truffaut-Filmen Inbegriff jugendlichen Aufbruchs war.

Das Wunder geschieht in der Silvesternacht. Camille trinkt wieder einmal zu viel, fällt in Ohnmacht, das Uhrwerk der Zeit schnurrt zurück, und sie erwacht im Jahr 1985, kurz vor ihrem 16. Geburtstag. In Gestalt und Lebenserfahrung bleibt sie die Vierzigjährige, alle um sie herum aber - Eltern, Lehrer und Schulfreundinnen - sehen sie als Teenager. Das ergibt eine bizarre Konstellation, in die man anfangs nicht so leicht hineinfindet, denn Camille erscheint wie ein Fremdkörper im Burlesk-Theater ihrer wiederaufgeführten Vergangenheit. Bis man versteht, dass diese Re-Vision der Vergangenheit einer Logik zärtlicher Erinnerung folgt.

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Üblicherweise erzählen Zeitreisen im Kino von dem Versuch, ins Räderwerk des Schicksals einzugreifen. Die Katastrophen sollen verhindert werden. Zu Beginn versucht Camille das auch, wenn sie der Begegnung mit Eric ausweichen oder ihre Mutter vor einer tödlichen Krankheit bewahren will. Dann aber wendet sich die Reise in eine Hommage an die prägende Kraft der Jugend. Gefeiert wird die herrliche Extravaganz der besten Freundin (faszinierend: Judith Chemla), die Liebenswürdigkeit der Eltern, der Zauber des ersten Kusses.

Es kommt gar nicht darauf, den Gang der Vergangenheit zu ändern, sondern den Umgang mit ihr neu zu lernen, um verlorene Leichtigkeit wiederzufinden. So wird diese Zeitreise einerseits zur schrägen, karnevalesken Teenager-Party, bei der Nena "99 Luftballons" trällert, andererseits zur therapeutischen Selbsterkundung. Der Kobold und die Philosophin in Noémie Lvovsky kommen beide gleichermaßen zu ihrem Recht.

Camille redouble , F 2012 - Regie: Noémie Lvovsky. Buch: Maud Ameline, Noémie Lvovsky. Kamera: Jean-Marc Fabre. Mit: Noémie Lvovsky, Samir Guesmi, Judith Chemla, Yolande Moreau, Denis Podalydès, Jean-Pierre Léaud. Movienet, 115 Minuten.

© SZ vom 14.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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