Buch des Jahres:Ein Hoch auf die Mainstream-Ökos

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"Die Geschichte der Bienen" prophezeiht, dass Menschen in ferner Zukunft die Bestäubung der Obstbäume selbst übernehmen müssen. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Ja, es ist modisch geworden, sich grün zu geben. Das Öko-Gehabe wirkt naiv, oft verlogen. Dass Maja Lundes "Die Geschichte der Bienen" Buch des Jahres ist, beruhigt trotzdem.

Kommentar von Gerhard Matzig

Als "Überraschungserfolg der Kinderbuchautorin" bewertete das ZDF das, was Media Control am Mittwoch als "Buch des Jahres" verkündete. Mit 350 000 verkauften Exemplaren konnte die aus Oslo stammende Autorin Maja Lunde ihren Romanerstling "Die Geschichte der Bienen", Verlag btb, hierzulande tatsächlich vor den sonst üblichen Favoriten wie etwa Dan Brown platzieren. Um das aber überraschend zu finden (abgesehen von der Frage, wie man Kinderbuchautorinnen nach "Harry Potter" noch als erfolgsunverdächtig ansehen kann), muss man die vergangenen Jahrzehnte irgendwo verbracht haben, wo der Klimawandel als Fake News gilt.

Die Bewertung des Buches, das als Zeitreise die Jahre 1852, 2007 und 2098 verbindet, das von einem Biologen handelt, von einem Imker und von Tao, die in der chinesischen Provinz Sichuan in ferner Zukunft die Bestäubung der Obstbäume von den dann nicht mehr vorhandenen Bienen übernehmen muss, darf man der Kritik überantworten; dass aber das Bienensterben als Sujet verkäuflich ist, gibt auch so zu denken. Zum Beispiel fällt auf, dass das Buch von Euphorie und von knirschender Kritik begleitet wird. Wer auf Amazon den Beifall (überwiegend) und die Ablehnung der Leser studiert, begegnet Denkmustern, die auch abseits des Buchmarktes anzutreffen sind, sobald es um Grün-Themen geht, die unsere Epoche als "Neo Nature" ausweisen.

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Für die einen ist der Roman ein Aufschrei, der "Demut vor der Schöpfung" fordert. Dagegen schreibt ein Imker, als Fachmann also, unter dem Titel "Bienensterben light oder Wie man die Welt vom Ikea-Sofa aus rettet", er störe sich an "kalkulierter Sentimentalität". In diesem Sinne sei der Welt, der Natur und auch den Bienen nicht geholfen, wenn man sich Bestseller reinziehe, um sich auf romanhafte und irgendwie modische Weise ein reines Öko-Gewissen zu verschaffen.

"Greenwashing" kann ja auch sehr lustvoll sein. Offenbar sogar im Bordell

Interessanterweise war das so ähnlich auch zu hören, als der Global-warming-Blockbuster "The Day After Tomorrow" 2004 die Kinos mit einem aufregend schlechten Gewissen in Form abgründig schöner Bilder flutete. Man kann auch fragen, was in der Mode die "Eco"-Zertifikate bringen und was im Städtebau die "Öko-Städte" bewirken. Oder was in der Architektur von all den bemoosten Farn-Fassaden zu halten ist, die aktuell für Interesse sorgen.

Muss man noch erwähnen, dass Grün die "Farbe des Jahres 2017" war? Dass sich alternative Burger-Bratereien abgesägte Birkenstämme als Nature-Look in die Lokale stellen. Dass die Kreuzfahrer-Flotten die Wellnessareale ihrer vor sich hin dieselnden Saurierschiffe aussehen lassen wie das Dickicht grüner Regenwälder. Dass sich Bücher gut verkaufen, solange sie etwas mit Baum im Titel haben. Beispiel: "Die geheime Sprache der Bäume", "Das geheime Leben der Bäume" oder "Die Bäume und das Unsichtbare". Und dann gibt es noch dieses Bordell in Berlin, das einem "fünf Prozent Nachlass" gewährt, wenn man mit dem Fahrrad oder öffentlich hinfährt. Greenwashing kann ja auch sehr lustvoll sein.

Ja, es ist modisch geworden, sich grün zu geben. Total naiv. Oft verlogen. Blendwerk. Aber das ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Denn die Ökologie ist ein System, in dem die Masse und nicht die Avantgarde entscheidet, in welche Richtung es geht. Daher kann es gar nicht genug Mainstream-Ökos geben. Die Gefahr besteht zwar darin, dass man sich mit den Natur-Labels des Zeitgeistes zufriedengibt. Aber die ebenfalls berechtigte, bessere Hoffnung besteht darin, dass sich aus dem Modemäntelchen ein Bewusstsein entwickelt. Möglicherweise ist solche Hoffnung kitschig, aber wenn der Kitsch die Welt rettet: Bitte mehr davon, gerne auch vom Sofa aus.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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