BR-Puls-Festival:Politische Botschaften

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Die Vibes des Techno-Spielmannszugs Meute aus Hamburg muten zwar elektronisch an, werden aber von Bläsern und einer Rhythmusgruppe rein akustisch erzeugt. Das Publikum beim Puls-Festival war von den Blasmusik-Versionen diverser Techno-Klassiker jedenfalls begeistert. (Foto: Catherina Hess)

Erstaunlich, wie viele Bands Wert auf klare Haltungen und Aussagen legen. Neben den Konzerten diskutierten Musikerinnen und Managerinnen in rein weiblicher Runde über Probleme in männerdominierten Berufen

Von Dirk Wagner, München

"Sexuelle Gewalt beginnt und endet nicht mit Vergewaltigung. Sie beginnt in unseren Büchern und hinter unseren Schultüren", singt Joe Talbot, Sänger der britischen Post-Punk-Band Idles auf dem ausverkauften Puls-Festival in den Räumen des Bayerischen Rundfunks. Gleichzeitig hätte man sich auch im Nachbarstudio an den witzigen Texten der deutschen Hip Hop-Band Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi erfreuen können. Oder man hätte auf einer dritten Bühne in der Kantine des Bayerischen Rundfunks die israelische Neu-Entdeckung Noga Erez bewundern können, deren Debüt-Album "Off The Radar" zu den wirklich besten Pop-Alben des Jahres zählt.

Elektronische Musik bietet hier die Tanzfläche für eine wütende Frau, die angesichts der angespannten Dauer-Situation in ihrer Heimat Tel Aviv auch mal fragt: "Kannst du tanzen, während du schießt?" Wer ihr zuhört, verpasst, wie nebenan einer der besten Acts des diesjährigen Spektakels, nämlich besagte Idles, diesen Song von Noga Perez ebenfalls in ihr Programm einfließen lassen: "Dance While You Shoot". Und wie deren Sänger die Bildung als beste Waffe gegen Unrecht bezeichnet, zumindest, wenn man seiner politischen Haltung folgt und, wie er, die konservative Partei Großbritanniens als Bewahrer des Unrechts ansieht. Dann gleicht die Empfehlung der Idles fast einer Kampfansage: "Der beste Weg, einen Tory zu erschrecken, ist zu lesen und reich zu werden." Immer wieder und wieder wiederholt der Sänger diesen Satz, so dass er schon fast rhythmisch auf die wild dazu tanzenden Zuschauer einwirkt. Herrlich belebend lärmen darüber hinaus die Gitarren, als Talbot plötzlich im selben Song "Mother" mit den eingangs zitierten Zeilen dem Patriarchat abschwört.

Damit knüpft der letzte Act im Studio 2 an eine Podiumsdiskussion an, die Stunden zuvor im selben Studio das Festival eröffnet hatte. Veranstalterinnen, Managerinnen, Veranstaltungstechnikerinnen und Musikerinnen diskutierten dort, moderiert von Vanessa Schneider, ihre Probleme in ihren männerdominierten Berufen. Dass man als Technikerin zum Beispiel deutlich kompetenter erscheinen muss als die männlichen Kollegen, um von diesen respektiert zu werden, wie Katharina Adler von Landstreicher Booking anführt. Oder dass man sich als Frau immer wieder entscheiden müsse zwischen einer zeitaufwendigen Karriere und einem Leben als Mutter in einer Familie. Nun hätte ein Mann in einer solchen Diskussion einräumen können, dass er sein Privatleben auch der Karriere opfern müsse. Und dass möglicherweise auch bei ihm genügend Beziehungen an seiner Karriere scheiterten. Aber leider sitzt in der Diskussionsrunde mit der bewusst provokant formulierten Forderung "Für mehr Pussy im Pop!" kein einziger Mann.

Dass es den Veranstaltern nicht gelungen ist, wenigstens einen männlichen Vertreter zu dem spannenden Thema einzuladen, ist bedauerlich, weil der Feminismus, um den es hier letztlich geht, auch Männer betrifft. Und zwar nicht als Bedrohung, die die über Jahrhunderte gefestigten Privilegien gefährden könnten, sondern als Bereicherung. Schließlich würden in einer feministischen Gesellschaft endlich auch jene Ressourcen genutzt, die bis dato unterdrückt werden.

Die weibliche Besetzung der Diskussionsrunde erklärt das Thema allerdings wieder zur reinen Frauensache, so wie sie dann auch im Publikum hauptsächlich von Frauen wahrgenommen wurde. Wenigstens konnte ihnen Laura Lee Jenkins von der Berliner Band Gurr versichern, dass Schlagzeuger im Gegensatz zu anderen Musikern immer gesucht würden. Da müsse man gar nicht allzu viel können, um in einer Band aufgenommen zu werden, sagt Jenkins, selbst Schlagzeugerin von Gurr. Stunden später spielt sie auf derselben Bühne aber die Gitarre, während ein für die Konzerte engagierter Schlagzeuger und eine zusätzliche Bassistin den Rhythmus einer Musik besorgen, die Gurr im Studio nur zu zweit erschafft.

Mittlerweile stehen auch deutlich mehr Männer im Publikum. Männerdominiert, wie Rockkonzerte früher häufig waren, ist dieses Festival aber trotzdem nicht. Ist es im Übrigen auch nie gewesen. Zum einen bemühte man sich hier schon immer um gute weibliche Acts. Zum anderen sind auch dieses Jahr Höhepunkte wie das Londoner Kollektiv Superorganism mit ihrer Multi-Media-Show, oder wie der Hamburger Techno-Spielmannszug Meute in ihrer gesamten Erscheinung einladend androgyn anzusehen. Diese elektronisch anmutenden Vibes, die Meute mit Bläsern und einer Rhythmusgruppe rein akustisch geriert, gewinnen dem Techno als Blasmusik zudem eine oft unterschätzte Schönheit dieser Musik ab.

© SZ vom 04.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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