Bernried:Lustmord läuft, Schlachtross lahmt

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Selbst als "Der Krieg" von Otto Dix aufgerufen war, blieb die Bieterschlacht aus. Katrin Stoll vom Auktionshaus Neumeister leitete die Versteigerung. (Foto: Nila Thiel)

Die Auktion von Grafiken aus Lothar-Günther Buchheims Nachlass bringt dem Museum 820 000 Euro. Direktor Daniel J. Schreiber will davon neue Werke für die Expressionisten-Sammlung kaufen

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Bernried

Der Arm eines kleinen Buben schnellt in die Höhe. Gerade wird auf der Sonderauktion im Buchheim-Museum Bernried die Farblithografie "Trois Femmes" von André Masson aufgerufen. Im Katalog ist das Werk angesetzt für 200 Euro. Doch der Preis geht schnell hoch: 700, 750, 800 Euro. Der Bub behält seine Bieternummer vorsichtshalber oben, bis der Vater eingreift und den Arm herunterzieht. Doch schnell reckt dieser erneut seine Nummer in die Höhe. 950 Euro sind geboten, dann 1000. Prompt bietet der Junge weiter. Bei 1100 Euro bekommet der " junge Herr mit der Nummer 58" den Zuschlag. Dass eine Auktion in einem Museum stattfindet, ist in der Fachwelt etwas Besonderes. Aber wenn ein kleiner Bub mitsteigert, ist es sogar für die routinierte Auktionatorin Katrin Stoll eine Überraschung. "Das hast du gut gemacht", lobt die Geschäftsführerin des Münchener Auktionshauses Neumeister den jungen Kunstkäufer.

Seit zwei Stunden hat sie in ihrer streng sachlichen Art eine Druckgrafik nach der anderen aufgerufen. Die Besucher im voll besetzten Saal zeigten die ersten Ermüdungserscheinungen. Doch jetzt sind alle wieder wach, und es brandet Beifall auf für den kleinen, vielleicht allenfalls zehn Jahre alten Konkurrenten.

Lothar-Günther Buchheim, in dessen Sammlung die "Trois femmes" bisher zu Hause waren, war auch schon als Junge fasziniert von der Kunst. Man sprach von ihm als "malendes Wunderkind", das mit 17 Jahren schon Auftragsarbeiten für seine Heimat ausführte, bald begann er auch Kunst zu sammlen. Und dies mehr als leidenschaftlich. Von zahlreichen Drucken hat er gleich mehrere Exemplare angeschafft. Diese Doubletten wurden auf der Sonderauktion am Samstag versteigert. Die Sammlung selbst bleibt davon unberührt. "Wir haben sehr bewusst ausgewählt", sagt Museumsdirektor Daniel J. Schreiber. Buchheims Frau Diethild hatte noch zu ihren Lebzeiten vorgeschlagen, doppelte Blätter zu verkaufen, falls das Museum Geld benötigen sollte. Vom Auktionserlös will Schreiber weitere Ankäufe für die Expressionisten-Sammlung des Museums erwerben.

Vor mehr als einem Jahr ist Katrin Stoll damit beauftragt worden, den Privatnachlass von Diethild und Lothar-Günther Buchheim zu inventarisieren und zu bewerten. Insgesamt 230 Blätter wurden für die Auktion ausgewählt. Seit Oktober konnten sie im Museum besichtigt werden. Die Einstiegsgebote im Katalog reichten von 20 Euro für ein Plakat bis 150 000 Euro für Otto Dix' "Der Krieg", einer grandiosen Mappe mit 50 Radierungen, die am Ende 160 000 Euro einbrachte.

Der Andrang war entsprechend groß. Schon eine Stunde vor Auktionsbeginn standen die Besucher Schlange, das Personal hatte alle Hände voll zu tun, um weitere Stühle heranzuschaffen. Zudem waren vorab zahlreiche schriftliche Angebote abgegeben worden. "Wir haben eine sehr komfortable Ausgangssituation", freute sich Stoll vor Auktionsbeginn. Ihr Ziel war, mindestens 600 000 Euro zu erreichen. Und sollte der Erlös 1,2 Millionen erreichen, kündigte Schreiber ein Bad im winterlich-frostigen Starnberger See an. Das blieb ihm dann aber erspart.

Gleich zu Beginn ging es Schlag auf Schlag. Bieter aus den Niederlanden, Großbritannien und sogar aus USA boten per Telefon oder online mit. Zwei Farboffset-Lithografien nach dem Original "Mutterschaft" von Pablo Picasso etwa waren im Katalog mit dem Schnäppchenpreis von 300 Euro bewertet. Ihr Preis kletterte aber schnell hoch und erreichte 5300 Euro inklusive Mehrwertsteuer und aller Gebühren. Max Beckmanns Radierung "Selbstbildnis mit steifen Hut" ging innerhalb von nur wenigen Sekunden für 65 000 Euro weg, während sein Selbstbildnis "Der Ausrufer" unter Wert für nur 4500 Euro ersteigert werden konnte.

Erstaunlicherweise fand sich für das bekannte Werk von Otto Dix, der "Pferdekadaver", das als einziges Werk überhaupt in Buchheims Roman "Das Boot" erwähnt wird, gar kein Interessent. "Da wundert man sich einfach", sagte Schreiber. Aber der Markt habe eben seine eigenen Gesetze. Dafür erreichte die Radierung "Lustmord", die mit 2000 Euro angesetzt war, stolze 12 000 Euro. Bereits das zuvor abgegebene schriftliche Einstiegsgebot hatte 10 000 Euro betragen. Weibliche Akte gehen eben immer, kommentierte Stoll lakonisch. Wohl wahr, denn zuvor hatte der "stehende männliche Akt mit Brille" von Max Beckmann erst eine Interessentin gefunden, als der Eingangswert von 1200 Euro auf 1000 Euro reduziert worden war.

Die Auktion selbst verlief streckenweise zäh, doch nach dreieinhalb Stunden waren alle zufrieden. Übrig blieb fast nichts, 95 Prozent aller Werke kamen unter den Hammer. "Das ist super", fand Bernd Degner vom Auktionshaus Neumeister. Normalerweise werde ein Verkaufswert von 70 bis 80 Prozent erreicht. Für ihn ist das ein Beleg dafür, dass der Ausrufer die Sammlung sehr gut taxiert hat. Mit einem Erlös von 820 000 Euro wurde die Einstiegsschätzung immerhin verdoppelt. Das sei letztendlich das, was man solide erwarten konnte, sagte Schreiber. Mit dem Erlös könne man zwar keinen Kirchner kaufen, aber dennoch gute Gemälde für die Sammlung des Hauses erwerben.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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