Berlinale: Kohlhaase:Ja, ich muss auch die bösen Kinder lieben

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Drehbuchautor Kohlhaase erhält den Ehrenbären. Er weiß, wann ein Satz leuchtet, und kennt den Feind des klaren Gedankens.

M. Knoben

Ein Interview mit Wolfgang Kohlhaase ist schwer zu kriegen in diesen Berlinale-Tagen. Schon das ist bemerkenswert - es gibt nicht viele Drehbuchautoren, auf die der Medienbetrieb sich stürzt. An diesem Mittwoch bekommt Kohlhaase einen Ehrenbären für sein Lebenswerk. Der 78-Jährige ist einer der fruchtbarsten Künstler seines Fachs, er hat mit einigen bedeutenden deutschen Regisseure zusammengearbeitet, mit Gerhard Klein, Konrad Wolf und Frank Beyer in der DDR, nach der Wende mit Volker Schlöndorff und Andreas Dresen. Ein gar nicht so kleines Stück Deutschland wird in seinen Filmen bewahrt, gesellschaftliche Wirklichkeit, die Kohlhaase dicht an den Menschen erforscht. Dass er Sprache als Präzisionswerkzeug versteht, ist auch im Gespräch zu spüren.

Erst in der DDR, dann im vereinten Deutschland hat Wolfgang Kohlhaase mit den bedeutendsten Regisseuren zusammengearbeitet. Mit Andreas Dresen schuf erSommer vorm Balkon. (Foto: Nadja Uhl und Inka Friedrich in "Sommer vorm Balkon"/Foto: ddp)

SZ: In Ihrem Werk ist immer wieder von Berlin die Rede. Was ist das Besondere an der Stadt und an ihrer Sprache, dem Berlinerischen?

Wolfgang Kohlhaase: Berlin wurde, ohne dass ich etwas dafür kann, der Ort meiner Kindheit, und was man in den ersten fünf, sechs Jahren aus dem Küchenfenster sieht, bleibt einem bekanntlich erhalten. Und das Berlinerische ist ja nicht einfach eine bestimmte Färbung in der Sprache, es ist eine Denkweise. In allen großen Städten hat die Sprache ein besonderes Temperament, meist ist sie schneller.

SZ: Ihre Filme schildern sehr präzise das Milieu, in denen sie spielen. Warum ist das wichtig?

Kohlhaase: Wenn Sie sich vornehmen, eine Geschichte im Alltäglichen zu erzählen, dann muss das Alltägliche ja irgendwo sein. Wenn Sie von einem Ort der Welt genau sprechen, dann können Sie an vielen Orten der Welt verstanden werden. Was nicht viel taugt, ist das Beliebige. "Irgendwie" ist der Feind jedes klaren Gedankens.

SZ: Viele Ihrer Figuren scheinen sich immer wieder neu erfinden zu müssen. Eine Erfahrung, die Sie auch selbst gemacht haben?

Kohlhaase: Die wirklichen Abenteuer sind nicht die, die man sich vornimmt, sondern die, in die man stürzt. Man sucht sich nicht aus, was einem passiert. Und wo Menschen in Situationen geraten, die sie so nicht vorhatten, aber in denen sie leben müssen, steckt etwas von dem, was mich immer interessiert hat - die tägliche Tapferkeit, die man zum Leben braucht.

SZ: Sie haben auch nach der Wende Erfolg gehabt. Warum sind Sie mit dem biographischen Bruch zurechtgekommen, während andere scheiterten?

Kohlhaase: Ich habe mir nach der Wende durchaus die Frage gestellt, wem ich denn in Zukunft welche Geschichten erzählen kann. Ich kam in eine größere Publikumslandschaft, in der jahrzehntelang das amerikanische Kino eine große Rolle gespielt hatte, das sage ich jetzt wertfrei. Ich habe dann dieses oder jenes versucht, was nicht direkt aus meiner Mitte kam, etwa mit Frank Beyer noch mal eine Variante des Hauptmann von Köpenick fürs Fernsehen. Bis ich letztlich dahinterkam, dass ich ja nichts anderes tun kann, als bei mir selbst zu bleiben und das zu machen, was ich immer gemacht habe - vor die Haustür treten sozusagen. Und es war für mich hilfreich, dass ich Andreas Dresen getroffen habe, der aus einer ähnlichen poetischen Provinz kommt, obgleich er so viel jünger ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie viele Sätze Wolfgang Kohlhaase seinen Schauspielern zu sprechen gibt.

SZ: Sie haben die Produktionsbedingungen in der DDR erlebt, dann die in der Bundesrepublik. Können Sie die verschiedenen Systeme für uns vergleichen?

Erhält dieses Jahr im Alter von 78 Jahren den Ehrenbären auf der Berlinale: Wolfgang Kohlhaase. (Foto: Foto: dpa)

Kohlhaase: Die rein ökonomische Seite lässt sich vielleicht am einfachsten beschreiben. Die Filmindustrie in der DDR wurde ja finanziert wie ein Opernhaus. Und wenn man sich mit dem Studio geeinigt hatte auf ein Projekt, dann musste man über die Finanzierung nicht weiter nachdenken. Heute kann die Finanzierung eines Films sehr umständlich sein. Und dann hatte man es in der DDR natürlich auch mit politischen Erwartungen zu tun. Das darf man sich nicht so platt vorstellen, wie es sich manchmal liest. Wir wollten ja den öffentlichen Angelegenheiten auf der Spur bleiben, wir wollten große und offene Fragen in die Gesellschaft bringen. Und auch die Politik war auf ihre Weise an der Realität interessiert. Aber wenn sich die Wunschbilder der Politik nicht deckten mit den Kinobildern, dann gab's Konflikte. Das war manchmal beschwerlich, aber man arbeitete nicht ins Beliebige hinein. Man war in einem Raum, wo Wirkung entstand.

SZ: Müssen Sie Ihre Figuren mögen, vielleicht sogar lieben, damit Sie ein Drehbuch über sie schreiben wollen?

Kohlhaase: Aus einem lebenden Vorbild eine Kunstfigur zu machen, das geht nicht ohne Liebe, das ist zunächst eine moralische Frage in Bezug auf die Arbeit. Wenn mich eine Figur interessieren soll, dann muss ich sie lieben. Ja, ich muss auch die bösen Kinder lieben und die schlimmen Charaktere. Ich muss ja versuchen, etwas von ihnen zu verstehen, damit der Zuschauer etwas über Sie erfährt.

SZ: Haben Sie einen Zettelkasten zu Hause mit Sätzen, die Sie gehört haben und vielleicht später verwenden wollen?

Kohlhaase: Nein, ich habe keinen Zettelkasten, obgleich ich mich manchmal ärgere, wenn ich etwas höre, das mir gefällt, weil es einen bestimmten Moment sehr genau beschreibt, und dann vergesse ich es. Aber Redewendungen veralten von einem Jahr aufs andere, und es gibt nichts Unmoderneres als die Mode von gestern. Tonlagen sind wichtig. Und wenn man die Haltung einer Figur hat, die ja mehr ist als das, was ein Mensch sagt, dann ist der nächste Gedanke, welche Chance denn der Schauspieler haben soll. Gebe ich ihm einen guten Satz oder gebe ich ihm zwei weniger gute Sätze - und natürlich gebe ich ihm einen guten Satz. Ich glaube, dass auch Schauspieler es mögen, wenn sie Platz haben, wenn sie nicht ununterbrochen reden und reden und noch mal reden müssen. Meine Vorstellung von Prosa, aber auch von Text in einer Filmszene ist eher die von einem lockeren Brot. Da müssen Poren sein, es darf nicht zugebacken sein.

SZ: Dafür ist es wichtig, dass der Text gerade nicht vom Leben abgeschrieben ist, sondern eine Form hat.

Kohlhaase: Ja, damit er sich am Ende anhört, als könnte er gerade gesagt worden sein. Dafür muss man die Worte ein bisschen verändern, ein bisschen drehen - und plötzlich leuchtet ein Satz.

SZ: Sie haben auch Hörspiele und Prosa geschrieben. Warum sind Sie nicht Schriftsteller geworden?

Kohlhaase: Es hat sich nicht so ergeben. Aber man muss ja mal aufhören, Filme zu machen, und dann setze ich mich vielleicht hin und schreibe. Was ich nicht gekonnt habe, ist beides parallel zu machen. Man schreibt Drehbücher bei offener Tür, weil man immer wieder die Leute trifft, für die man schreibt, einen Produzenten, einen Regisseur oder Schauspieler. Und wenn man Prosa schreibt, dann sollte man die Tür zumachen.

SZ: Sie haben schon viele Preise bekommen, jetzt den Ehrenbären der Berlinale. Wissen Sie schon, wo Sie ihn aufstellen?

Kohlhaase: Ich stelle ihn an einen Platz, wo man ihn sehen kann.

© SZ vom 17.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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