Berlinale: Glamour trotz Rezession:Protest Mahlzeit

Finanzkrise, Terrorismus, Globalisierung: Die Berlinale ist ganz nah dran an der Gegenwart, auch weil unklar ist, wie lange man sich die Weltstars leisten kann.

Susan Vahabzadeh

Bei der Berlinale setzt man traditionsgemäß auf die Verbindung von Glamour und Politik, aber etwas wird anders sein dieses Jahr, bei der 59. Ausgabe des Festivals. Bei dem, was zur Zeit in der Politik verhandelt wird, geht es nicht mehr nur darum, sich für andere einzusetzen. Die Einschläge kommen näher. Die Rezession, mit der die Welt gerade zu kämpfen hat, wird auch das Kino betreffen, und den Festivalbetrieb zuallererst.

Berlinale: Glamour trotz Rezession: Renée Zellweger posiert 2004 den Internationalen Filmfestspielen Berlin. In diesem Jahr wird die Schauspielerin mit ihrem Film "My One And Only" bei der Berlinale erwartet.

Renée Zellweger posiert 2004 den Internationalen Filmfestspielen Berlin. In diesem Jahr wird die Schauspielerin mit ihrem Film "My One And Only" bei der Berlinale erwartet.

(Foto: Foto: ddp)

Das liegt zum einen daran, dass man um die solventen Geldgeber fürchten muss. Wie wird sich der Sponsor Volkswagen entscheiden im nächsten Jahr? Wird noch genug öffentliches Geld da sein? Zum anderen kann man eine Dominanz der Hollywoodstars, eine Fixierung auf den roten Teppich nicht leugnen.

Die Rezession wird das Kino verändern, und sie wird die Festivals verändern. Die Einnahmen der Filmindustrie sinken schon deswegen, weil der DVD-Markt bröckelt, und der ist inzwischen oft wichtiger als die Kinoauswertung - auch wenn die einstweilen in der Krise eher zulegt. Die Frage ist, wie man langfristig mit der Rezession umgeht. Die letzte große Depression führte in den USA zu Kinoschließungen und Überschuldung, denn die Branche hatte sich den Zulauf des Publikums mit einer für damalige Verhältnisse gigantischen Investition erkauft, der Einführung des Tonfilms.

Einen 150-Millionen-Dollar- Film nach dem anderen heute rauszuhauen, wird sicher nicht die Antwort auf die gegenwärtigen Finanzierungsengpässe sein, die die Produzenten jetzt schon zu spüren bekommen. Von Zuschauerzahlen wie in den Dreißigern kann man heute nur noch träumen, dafür werden immer mehr und teurere Filme gemacht.

Wenn Hollywood überleben will, muss es abspecken - was aber bedeutet das für die großen Festivals? Wie es ist, wenn man zwar noch lauter kleine gute Filme hat, aber kaum noch boulevardpressetaugliche Superstars, die Erfahrung machte die Mostra in Venedig im vorigen Sommer, die die Folgen des Autorenstreiks ausbaden musste in Kombination mit der immer weiter steigenden Tendenz, große Hollywood-Filme bis zum Jahresende zurückzuhalten, aus Oscar-Sehnsucht.

Das Kino hat, so Berlinale-Leiter Dieter Kosslick im Vorfeld des Festivals, die Finanzkrise, die wir gerade erleben, längst mehrfach beschrieben; Dass der Eröffnungsfilm (aus dem Studiosystem Hollywoods, nebenbei bemerkt), Tom Tykwers "The International", ein Bankenthriller ist und so nah dran am Thema Finanzkrise, ist ein Glücksfall - Finanzkrise, Terrorismus, Globalisierung, alles in einem Film, der mit einigen 70mm-Aufnahmen auch noch ans Thema der Retrospektive anknüpft . . .

Mit Politischem geht es auch weiter im Wettbewerb. "Mit ganz unterschiedlicher künstlerischer Handschrift sind die Filme des diesjährigen Wettbewerbs Dokumente der Lebensbedingungen in unserer globalisierten Welt", so Kosslick.

Es finden sich Terrorismus, Krieg - Rachid Bouchareb mit "London River" über die U-Bahn-Anschläge in London 2005 und Hans-Christian Schmid mit "Sturm" über Kriegsverbrechen in Bosnien, beide Filme nähern sich ihrem Thema übers Drama, über das Aufeinandertreffen zweier Charaktere: Bei Bouchareb sind das eine Mutter und ein Vater, sie Christin, er Muslim, deren Kinder nach dem Anschlag vermisst werden; bei Schmid eine Anklägerin vom Kriegsverbrechertribunal und eine Zeugin. Costa-Gavras wiederum, zuverlässiger Politfilm-Veteran, hat "Eden à l"ouest" gemacht, im Wissen, dass die Suche nach Arbeit zur Odyssee werden kann. In "The Milk of Sorrow" der Peruanerin Claudia Llosa geht es um die Aufarbeitung der Jahrzehnte des Kampfes zwischen Guerilla und Regierung.

Aber politisches Kino, das ist natürlich nicht notwendigerweise mit den selben Problemen befasst wie ein parlamentarischer Ausschuss. Verfilmte Leitartikel sind selten Publikumsrenner, und auch die Aufmerksamkeit der Berlinale, das Bekenntnis zum politischen Sendungsbewusstsein, kann einem Film nur bedingt helfen, ein Publikum zu finden. "Tropa de Elite", ein brasilianischer Film über Polizeigewalt, gewann im vorigen Jahr den Goldenen Bären - was ihm bislang nicht auf den Weg in den Kinobetrieb geholfen hat. Was ist politisches Kino überhaupt, wo fängt es an, wann ist es nur noch eine Predigt zu den Konvertierten?

Meryl Streep, deren neuer Film "Glaubensfrage" in dieser Woche noch vor der Berlinale startet, hat im Interview für ein Kino geworben, das eine Denkleistung verlangt, statt zu missionieren - "Glaubensfrage" ist so ein Film, er erzählt davon, auf welch tönernen Füßen unsere Entscheidungen oft stehen, wie nah Engagement und Denunziation beieinander liegen. Was im Zweifelsfall politischer sein kann als offene Kritik an einem System, an dem man am Ende doch teilnimmt.

So gesehen ist die Entscheidung, die "Ernährungsaktivistin" Alice Waters in die Jury unter Vorsitz der querköpfigen Tilda Swinton zu berufen, doch ganz originell und nicht nur Kosslicks Vorliebe für kulinarische Metaphorik geschuldet - eine Frau, die nicht zum Kino-, ja nicht einmal zum Kulturbetrieb gehört. Und bei näherer Betrachtung eine wahrscheinlichere Kandidatin ist für revolutionäres Gedankengut, als das Verfassen von Kochbüchern vermuten lässt.

Waters entstammt der Protestbewegung der sechziger Jahre, begann an der Uni in Berkeley mit Aktionen für Bürgerrechte und gegen Vietnam - und ihr Ansatz, die Welt zu verändern, war eben der über die Ernährung. Essen, findet Waters, ist eine politische Handlung - in ökologischer Hinsicht, weil man mit dem Kauf lokaler Lebensmittel, die zu bestimmten Bedingungen produziert wurden, tatsächlich Einfluss hat auf Landwirtschaft, Energiewirtschaft, Ökologie . . .

Es geht ihr um Mahlzeiten als Mittelpunkt intakten Lebens, darum, wie Essen und Globalisierung zusammenhängen, und wie die Nahrung von der Zugehörigkeit zu einer Schicht definiert wird - und vor allem auch umgekehrt. Das klingt nach einer Frau, die nicht für platte Frontalangriffe zu haben ist. Auf jeden Fall scheint sie zu wissen, dass es mehr als eine Art gibt, die Welt zu verändern.

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