"Berg Fidel - eine Schule für alle" im Kino:Jakob kann gut trösten

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Jahrelang hat Hella Wenders für ihre Dokumentation "Berg Fidel - eine Schule für alle" Kinder in einer Grundschule begleitet. Entstanden ist ein Plädoyer für die Gesamtschule - aber ein leises, das alle fünf Sinne beisammen hat.

Susan Vahabzadeh

"No Child Left Behind Act", kein Kind wird zurückgelassen, so hieß ein viel kritisiertes Bildungsgesetz in den USA, das den Namen nicht wirklich verdient hatte. Die Gemeinschaftsgrundschule Berg Fidel in Münster, von der Hella Wenders in ihrem ersten Film erzählt, erfüllt diesen Leitsatz schon eher - man spielt hier Gesellschaft im Kleinen, die Schüler bilden eine kindliche Solidargemeinschaft.

Der Schüler David Leonhard in der Dokumentation "Berg Fidel - eine Schule für alle". (Foto: dpa)

In Berg Fidel wird kein Kind abgewiesen, hier lernen Kinder aller Schattierungen und Fähigkeiten zusammen. Man sieht, was das heißt.

Zum Beispiel, dass David, der Crack in der Klasse, sich gelegentlich bei seinen Aufgaben tödlich langweilt. Er ist der erste, den wir kennenlernen - ein altkluger Dreikäsehoch, der Sachen sagt wie "Lass mich mal die Rechtschreibung überprüfen". Seine Klassenkameraden scheinen ihn trotzdem zu mögen. Ein hinreißendes Kind - dreimal so clever wie alle anderen, ohne überheblich zu sein. Seiner Überlegenheit in Mathe und Musik ist er sich durchaus bewusst, er überschätzt sie aber nicht - denn erstens kann er schlecht sehen und schlecht hören, und zweitens wird in dieser Schule viel gelehrt, aber wenig von Überlegenheit. Jakob kann echt gut trösten, sagt eine Klassenkameradin einmal über ein Kind mit Down-Syndrom.

Als wären Kinder Milchkühe

Noch zwei weiteren Kindern außer Jakob und David ist Hella Wenders über mehrere Schuljahre gefolgt, bis sie nach der vierten Klasse abgehen müssen - für manche bedeutet das eben Sonderschule, und dass sie dort nicht besser aufgehoben sind, ist völlig klar. Manchmal, in den ruhigen Augenblicken dieses Films, denkt man vielleicht darüber nach, ob der Preis dafür nicht ist, dass einer wie David nicht zu Höchstleistungen angespornt wird.

Unweigerlich, weil wir ja immer so denken: dass es doch eine Schande ist, einen solchen kleinen künftigen Leistungsträger nicht zu optimieren. Als wären Kinder Milchkühe. David lernt etwas ganz anderes: Dass das nun mal so ist, dass manche von den anderen langsamer sind und sich vielleicht sogar aburde Entschuldigungen dafür einfallen lassen, statt sich minderwertig zu fühlen. Obwohl er davon erzählt, als hätte er das immer schon gewusst.

"Berg Fidel - eine Schule für alle" ist ein ruhiger Film, in dem sich die Dinge selbst erklären. Irgendwie ist er sicher ein Plädoyer für die Gesamtschule, aber ein leises, das alle fünf Sinne beisammen hat und ein Weltbild im Herzen, in dem der Zusammenhalt im Mittelpunkt steht; in Berg Fidel, hat man Eindruck, ist jedes dieser Kinder die vollkommenste Version seiner selbst.

Berg Fidel, D 2011 - Regie und Buch: Hella Wenders. Kamera: Merle Jothe. W-Film, 88 Minuten.

© SZ vom 14.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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