Ballett:Tanz der Gangster

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Das Gärtnerplatztheater bringt die Milieustudie "Chicago 1930" auf die Bühne

Von Rita Argauer, München

Chicago in den Dreißigerjahren: Jazz, eine gewisse Verruchtheit und eine gewisse Lust am Rausch, die - klar, es herrscht Prohibition - die Gesetzesgrenzen etwas weicher werden lässt. Das Gärtnerplatztheater bringt nun zum Ende der Spielzeit ein Ballett mit dem schlichten Titel "Chicago 1930" heraus. Doch die Assoziationen, die allein diese Kombination von Stadt und Jahreszahl hervorruft, lassen erahnen, worum es da geht: Ein Handlungsballett, angesiedelt im Mafia-Milieu und ein junger Protagonist, der an moralische und persönliche Grenzen stößt - eine, auf den ersten Blick sehr klassische Erzähl-Konstellation.

Doch für Karl Alfred Schreiner, Choreograf und Ballettchef der Kompanie des Gärtnerplatztheaters, der damit auch indirekt sein Stück "Berlin 1920" aus der vergangenen Spielzeit fortsetzt, ist das mehr als eine romantisierend-nostalgische Milieustudie. Sowieso sei ihm der Begriff der "Historisierung" im Zusammenhang mit seinem neuen Ballett lieber: "Mit Nostalgie", erklärt er, "betrachtet man eine vergangene Zeit, die man selbst erlebt hat". Wenn man eine Dekade jedoch nicht selbst erfahren habe, dann bekomme der Blick darauf eine historische Distanz. Und genau die will Schreiner nutzen. "So wie ein Märchen", sagt er, "das aber etwas erzählt, was letzten Endes ganz nah an uns dran ist". Im Fall der Mafia im Chicago der Dreißigerjahre ist das für Schreiner eine Parallelgesellschaft, die ihre Angelegenheiten außerhalb des Gesetzes und mit Gewalt löst. "Und da sind wir schon im Heute", sagt er, und verweist auf fundamentalistische Organisationen oder Staaten, die sich entschieden hätten, sich außerhalb der Menschenrechte zu positionieren.

Bemerkenswert, dass Schreiner dafür die etwas veraltete Form eines Handlungsballettes wählt und ästhetisch streng am Plot bleibt: Die verwendete Musik etwa ist zwischen 1930 und 1940 komponiert. Er greift auf Stücke von Duke Ellington, Paul Hindemith, Georges Antheil oder Dmitri Schostakowitsch zurück. Im Tanz ließ er sich vom Lindy Hop inspirieren: "Ich wollte, dass manche Sachen authentisch sind und habe versucht, das mit den Dingen zu kombinieren, die mich interessieren."

In der kommenden Spielzeit wird er sich von dieser klaren Sprache ein wenig verabschieden: Eine Uraufführung mit dem Titel "Jean und Antonin" ist angekündigt. Der Untertitel: "Zwei sinfonische Ballette", in denen Michael Keegan-Dolan und Schreiner je zu einer Symphonie von Jean Sibelius und Antonin Dvořák choreografieren. Statt einer Fortsetzung, die eine Stadt etwa mit der Jahreszahl 1940 koppeln würde, geht er also in Richtung Abstraktion: Tanz zu absoluter Musik, der die Musik zum Hauptinhaltsträger macht. Dass sich diese Abstraktion jedoch aus etwas Konkretem heraus ergibt, ist essenziell für ihn. "Wenn ich mich einfach nur der Stilistik bediene, fehlt das humane Element", sagt er, da bestehe die Gefahr, dass das eine "willkürliche Aneinanderreihung" einzelner Bewegungen würde.

"Jean und Antonin" wird aller Voraussicht nach die letzte Produktion sein, die Karl Alfred Schreiner mit der Kompanie ohne festes Haus macht. Denn im Herbst 2017 steht endlich der Einzug in das sanierte Gärtnerplatztheater an. Für seine 20 Tänzer wird das allein ganz praktische Vorteile bringen: feste Garderoben, einen Ballettsaal im Haus und eigene Duschen. Aber auch künstlerisch wird das die Tänzer weiterbringen, glaubt Schreiner. Denn ein Stück, das in sieben eng aufeinander folgenden Vorstellungen abgespielt wird, kann sich nach der Premiere kaum weiterentwickeln. Wenn man jedoch ein Repertoire pflegt, können die Stücke darin reifen. Ein paar der Stücke, die in den Wanderjahren des Theaters entstanden sind, sollen jedoch ins künftige Repertoire übernommen werden.

Die Übertragung auf die Gärtnerplatzbühne sei bei einigen Stücken allerdings schwierig: Etwa die Forsythe-Studie "Frankfurt Diaries" oder das Richard-Strauss-Ballett "Schlagobers". Der tiefe Bühnenraum, den die Stücke in der Reithalle hatten oder die Möglichkeit, ein groß besetztes Orchester hinter die Bühne zu setzen, sei auf der konventionellen Guckkastenbühne des Gärtnerplatztheaters nicht gegeben. Anders ist das nun bei "Chicago 1930". Dessen Uraufführung findet im Cuvilliés-Theater statt. Und diese Bühne ist der des Gärtnerplatztheaters doch recht ähnlich.

Chicago 1930 , Premiere am Donnerstag, 21. Juli, 19.30 Uhr, Cuvilliés-Theater

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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