Ballett:Schwanensee light

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Hinreißend: Jiwon Kim Doede und Marcos Novais. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Der Klassiker, neu getanzt in Augsburg

Von Eva-Elisabeth Fischer, Augsburg

Ricardo Fernando, gebürtiger Brasilianer, seit 1993 leitend und choreografierend an deutschen Stadttheatern unterwegs, löst nun, nach zehn Jahren in Hagen, Robert Conn in Augsburg als Ballettchef ab. Er weiß also, was mit einer kleinen Kompanie nicht geht - ein mit nur zwölf Schwänen erbärmlicher "Schwanensee" zum Beispiel. Immerhin wartet Fernando mit 16 Schwänen auf, weil neben acht Frauen ebenso viele Männer tanzen. Und das doch so ganz anders als sonst und verdichtet auf zwei Stunden.

Nein, Fernando hat mit seinem "Schwanensee" keine heilige Kuh geschlachtet. Seine Version ist nach wie vor Ballett, die Frauen tanzen auf Spitze, aber Marius Petipas Choreografie blitzt nur noch in Zitaten auf, bei den Pas de chat der vier kleinen Schwäne zumal, oder der Flucht auf Spitze der Odette, bevor sie Siegfried, nunmehr gerettet, selig in die Arme sinkt. Die Schwäne hier schlängeln schwanengleich die Arme, das schon. Aber die Oberkörper senken sich dabei gefährlich nach vorn. Und der Prinz rollt den Brustkorb merkwürdig ein, wenn er in akrobatischen Sprungkombinationen vom Boden abhebt. Das Divertissement ohne die liebgewonnenen Volkstänze in den "bunten" Akten gleicht nunmehr einer Dinner-Party beziehungsweise einem Maskenfest, wo die Gäste in zeitgenössischem Tanzidiom den Raum in hohen Hebungen durchmessen mit gerundet wogenden Armen.

Es sind offenbar nur die Frauen, die der böse Zauberer Rotbart (der diabolische Lucas Axel da Silva), hier ein düster-lockender Verführer, auch sexuell lebenslang zwangsverpflichtet. Prinz Siegfried hingegen hatte bis zu seinem 18. Geburtstag mit dem anderen Geschlecht offenbar noch nichts im Sinn. Sein Intimus aus Kindertagen, mit dem er schon mal tollend Ringelreihen tanzt, ist sein Freund Benno; seine bewunderte Liebe die schöne, noch recht jugendliche Mama. Weshalb er sich am See in diese mitleidheischende Vogelschimäre Odette (die hinreißende Jiwon Kim Doede) verguckt, dann aber bei der mütterlicherseits erwirkten Brautschau anlässlich des Geburtstagsfestes der libidinös ihn umgarnenden Rotbart-Marionette Odile erliegt (nobel: Karen Mesquita). Denn Rotbart und Odile sind von Anfang an omnipräsent als leibliche Gegenspieler des Prinzen und seiner Odette, sinnliche Verführer die einen, nicht erweckte Unschuld die anderen. Sie begegnen einander immer wieder und wechseln im Quartett die Partner. Schwarz steht gegen Weiß und mischt sich doch, zumal an diesem Abend, da der dunkelhäutige Brasilianer Marcos Novais den schmucken Prinzen Siegfried gibt. Heftig umjubelt wird dieser klug konzipierte, schwungvoll getanzte Schwanensee light. Die allerdings überlangen Umbaupausen überbrückt das Orchester mit nicht-getanztem Tschaikowski, der einem im Theater-Provisorium im Martini-Park blechern um die Ohren knallt.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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