Ballett:Ein Familienfest in Bewegung

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Familienaufstellung in Weiß: Die Mutter und Pate Droßelmeier (Mitte) betrachten das Spiel von Ping und Pong, während Klara in der Nussschale schlummert. (Foto: Marie-Laure Briane)

Karl Alfred Schreiner choreografiert am Gärtnerplatztheater den "Nussknacker" neu und setzt dabei eher auf die einzelnen Charaktere denn auf eine große Kostümparty

Von Rita Argauer

Manchmal heißt die Protagonistin Marie, manchmal Klara. Manchmal steht Drosselmeier für den Urchoreografen Marius Petipa selbst, wie etwa in John Neumeiers Fassung, die das Bayerische Staatsballett jahrelang spielte. Mal ist Drosselmeier aber auch der alleinerziehende Vater des Nussknackers und gleichzeitig die gutmütige Jugendliebe von Klaras ebenfalls alleinerziehender Mutter und späterer Schneekönigin, was diese letztlich zu einer glücklichen Patchwork-Familie zusammenführt.

Zumindest in Karl Alfred Schreiners Version ist das so. Der Ballettdirektor des Gärtnerplatztheaters, der nun die Uraufführung seiner Neuchoreografie dieses schwer traditionellen Weihnachtsballetts präsentiert, legt damit den Fokus auf den familiären Aspekt der Geschichte, die ursprünglich von E.T.A. Hoffmann stammt. Und um vom Defilee-Charakter und der Nummernhaftigkeit der Musik wegzukommen, habe er eben eine weitergefasste Dramaturgie spinnen müssen.

"Ich wollte, dass ein komplettes Handlungsballett entsteht", erklärt Schreiner. Deshalb lässt er im zweiten Akt auch nicht willkürlich Süßigkeiten und Kaffeetässchen vorbei tanzen, sondern hat all diese als Charaktere schon im ersten Akt angelegt. Für die 20 Tänzer seiner Kompanie ist dieser Nussknacker nicht die übliche große Kostümparty - von Mäusen und Soldaten über die Rohrflöten zum Blumenmädchen. Jeder Tänzer hat eine eigene Figur, die er verkörpert. All die skurrilen und märchenhaften Erscheinungen, die im zweiten Teil in Klaras Traum auftreten, sind von Beginn an vertraut.

"Weihnachten ist ein Familienfest", sagt Schreiner, da kommen eben die ganze Familie und Freunde zu Besuch - die Verwandtschaft aus Spanien, die Nachbarskinder aus China, die Großeltern aus Russland; gezeichnet und getanzt, als reale Menschen im ersten Akt und im zweiten Akt in der Überhöhung der Traumebene. "Ich habe mich an die Grundidee gehalten", erklärt Schreiner, eine zwangsläufig alternative Fassung habe er nicht schaffen wollen. Er hat höchstens ein bisschen modernisiert. Denn Schreiners tänzerische Sprache bleibt bei all seiner klassischen Erzähllust zeitgenössisch. Er lässt keine Zuckerfee im Tutu und Spitzenschuhen über die Bühne trippeln, er schafft vielmehr Bewegungen, die den Charakteren entsprechen sollen. "Immer wenn es eine Bewegung gab, die einen Charakterzug oder ein Gefühl ausdrücken kann, habe ich mich für diese entschieden und gegen die Pantomime." So ist ein zeitgenössisches Stück entstanden, das im Bühnenbild, in den Kostümen und in der Dramaturgie aber eindeutig im "Nussknacker" verortet ist.

"Ich finde es fast einfacher, abstrakte Ballette zu choreografieren", sagt Schreiner, der am Gärtnerplatztheater zuletzt mit "Jean und Antonín" einen Ballettabend geschaffen hatte, dessen Inhalt sich rein aus der symphonischen Musik von Sibelius und Dvořák ergab. Doch eine Geschichte auszudeuten und auf der Bühne umzusetzen, birgt mehr Angriffsfläche - in beide Richtungen. Natürlich wird der Tanz dadurch zugänglicher. Aber er ist auch leichter zu kritisieren. "Hier hat jeder Zuschauer eine eigene Vorstellung von der Geschichte", sagt Schreiner. Dass sich diese nicht immer zwangsläufig mit der eigenen decke, sei nicht zu verhindern. Einen großen Reiz habe eine solche Arbeit für ihn aber trotzdem.

Eine ganz ähnliche Vorgehensweise hatte Schreiner schon in seiner Fassung zu Tschaikowskis "Dornröschen" vor fünf Jahren gewählt. Denn vor diesen großen Brocken des klassischen Balletts, die schon ungezählte Male aufgeführt und neu choreografiert wurden, fürchtet er sich nicht. Ganz im Gegenteil: "Es gibt diese zwei, drei Stücke", sagt er, "die kennt jeder. Ich habe den Nussknacker schon als Tänzer selbst getanzt. Und es gehörte auf jeden Fall zu meinen Zielen, ihn einmal selbst zu choreografieren".

Der Nussknacker ; Donnerstag, 23. November, 19.30 Uhr, Gärtnerplatztheater, Gärtnerplatz 3

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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