Ballett:Absolut jugendfrei

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Papierschiffchen fahren Laurretta Summerscales und Yonah Acosta in "Alice im Wunderland". (Foto: Charles Tandy)

"Alice im Wunderland" mit zwei Rollendebüts im Nationaltheater

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Das Publikum tobt vor Begeisterung. Wenn das kein Glück ist! Soeben ist in der Münchner Staatsoper die 13. Vorstellung von "Alice im Wunderland" spektakulär über die Bühne gegangen. Das Bayerische Staatsballett hat Christopher Wheeldons kleinteilige, verflixt schnelle Choreografie jetzt voll drauf. Und das nach abermaliger Neubesetzung von sage und schreibe 18 Stellen. Die Tänzerinnen und Tänzer wirken, oh Wunder, wie aus einem Guss, hat doch der neue Ballettchef Igor Zelensky in nur einem Jahr nahezu das gesamte Ensemble ausgetauscht.

Am meisten beeindruckt an dieser Aufführung nach wie vor Bob Cowleys Op-Art-Bühne. Die Erwachsenen bestaunen Cowleys psychedelische Projektionen ebenso begeistert wie die vielen Kinder an diesem trüben Nachmittag im ausverkauften Nationaltheater. Kreiselnde Spiralen suggerieren den freien Fall, Englands Zitatenquell Nummer eins zerstiebt in taumelnde Buchstaben: Alice auf Trip, aber absolut jugendfrei. Dazu sorgt Joby Talbots illustrative Komposition für musikalischen Schwung. Zumal dann, wenn Myron Romanul am Pult das Staatsorchester mit seiner guten Laune zu heiterstem Musizieren animiert.

Diese Stimmung befördert Laurretta Summerscales. Die zarte, wohlproportionierte Brünette, die bislang beim englischen National Ballet als Erste Solistin tanzte, leuchtet von innen heraus. Sie tanzt erstmals die in allen drei Akten omnipräsente Alice mit nie versiegender Neugier und federleichter Technik. Ihr zur Seite hantiert umständlich ein endlich einmal leicht düster-abgründiger Lewis Carroll, der dann flugs als weißes Kaninchen der träumenden Alice durch ein buntschillerndes, auch blutrünstiges Wunderland voran hoppelt. Es debütiert in der Doppelrolle ein Neuzugang wie Summerscales, der Kubaner Yonah Acosta, ein Spring- und Drehwunder wie Osiel Gouneo. Aber er ist kleiner, kompakter als dieser, kein Prinz, sondern ein Charaktertänzer reinsten Wassers.

Daneben hat es so mancher angehende Prinz schwer. Alexey Popov, schlank, hochgewachsen und inzwischen zum Solisten befördert, besticht mit schöner Linie als Alices Herzbube. Für die Hebungen aber fehlt ihm noch die Kraft. In der beinharten Zelensky-Schmiede wird sie ihm zuwachsen - vielleicht schon bis zur Alice-im-Wunderland-Weihnachtsserie, zu der man sich schon jetzt schleunigst Karten besorgen sollte.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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