Ausstellung:Polarströmung und Plastikmüll

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Leider mehr Belehrung als Expedition: Die Humboldt-Box-Ausstellung "Extreme!" setzt auf Multi-Media, aber der Humboldtstrom lässt den Besucher kalt.

Von Jens Bisky

Alexander von Humboldt war der erste, der die kalte Meeresströmung an der Küste Perus und Ecuadors systematisch gemessen hat. Er konnte nachweisen, dass der Perustrom, wie Seefahrer ihn lange schon nannten, eine polare Strömung ist, die vom Südpol an der Pazifikküste Südamerikas entlang nach Norden fließt. Deswegen erhielt der Strom später seinen Namen, was wiederum ein willkommener Anlass war, die erste Probeausstellung der 2015 berufenen Gründungsintendanz für das Humboldt-Forum dem Humboldtstrom zu widmen. Sie wird in der Humboldt-Box gezeigt, auf zwei Etagen, auf denen sich vorher die Akteure des ehrgeizigen kulturpolitischen Projekts vorgestellt haben. In dieser Woche, so die Botschaft der drei Intendanten, beginne die eigentliche Geschichte des Humboldt-Forums. Auf die Ära der Beschwörungsfloskeln und Konzeptpapiere folge nun die der Ausstellungen und konkreten Vorschläge ( siehe das nebenstehende Interview).

Die Ausstellung "Extreme!" hat also alle Aufmerksamkeit verdient. Videoprojektionen, Texte, Multimedia-Stationen und illustrative Installationen empfangen den Besucher. Man sieht einen Fischschwarm, steht dann vor dem wohl interessantesten Objekt der gesamten Ausstellung: einem Totenbündel aus Peru, datiert auf 900 - 1470. Nach Europa brachte es der Textilkaufmann Wilhelm Gretzer, seit Ende des 19. Jahrhunderts gehört es zu den Beständen des Ethnologischen Museums. In diesem Bündel, das Beigaben für den Weg in eine andere Welt enthält, wurde ein etwa 165 Zentimeter großer Mann bestattet. Erhalten blieb auch dieses Bündel aufgrund der extremen Trockenheit an der peruanischen Küste. Weitere Stationen informieren über die Sammlungen in Berlin, über Alexander von Humboldt am Perustrom, über Opfergaben, Kulturpflanzen und das Klimaphänomen El Niño.

In der nächsten Etage geht es dann um den Müll, der in den Meeren treibt, Plastikflaschen, Badelatschen, Tüten. Eine Installation führt die zehn häufigsten Müllobjekte im Meer vor: Man sieht also ein Glas voller Kippen, eines voller Plastiktüten. Daneben steht eine Skulptur aus Geisternetzen, Fischernetzen, die in der Ostsee herumtrieben. Über die Folgen für Vögel und Meerestiere wird berichtet, das Computerspiel einer chilenischen Umweltorganisation wird vorgestellt. Man geht nicht ohne Tipps zur Müllvermeidung nach Hause.

Die Ausstellung ist aus institutioneller Perspektive vollends gelungen. Es kooperierten das Ethnologische Museum, das Museum für Naturkunde, der Botanische Garten, die Humboldt-Universität. Das Ineinander von Natur und Kultur bleibt Thema auf Schritt und Tritt. Sammlungsgeschichte und Details aus dem Leben des Namensgebers stehen neben Fragen der Gegenwart. Die gesamte Welt scheint betroffen. Doch als Beispiel für die Herangehensweise des Humboldt-Forums enttäuscht die Ausstellung. Sie belehrt die Besucher, statt sie auf eine Expedition zu schicken. Sie inszeniert Bescheidwissen, statt Entdeckungen zu ermöglichen. Die meisten Objekte dienen der Illustration. Und dass man 2019, wenn das Humboldt-Forum im Schlossneubau eröffnen soll, für Multimedia-Stationen noch die eigenen vier Wände verlassen muss, darf bezweifelt werden.

Auf der Pressekonferenz antwortete die Kulturstaatsministerin Monika Grütters sehr wohlwollend auf die Vorschläge der "GIs", wie sie die Gründungsintendanten nannte. Es gehe nicht um ein "Museum herkömmlichen Typs", sondern um ein neuartiges Bildungs- und Vermittlungsangebot. Deswegen sei auch sie für freien Eintritt in die Dauerausstellung. Die Frage, wie das Forum intellektuell und sinnlich faszinieren will, ist noch nicht beantwortet.

"Extreme! Kultur und Natur am Humboldtstrom." Bis 26. Februar 2017. Humboldt-Box, Berlin, Schlossplatz 5. Info: www.humboldtforum.com

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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