Ausstellung:Kongo: Wow! Und schluchz

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Danke, weißer Mann: Eine überwältigende Schau in Paris zeigt erstmals 90 Jahre Kunst aus Zentralafrika. Schade nur, dass ausnahmslos alle Werke europäischen Sammlungen gehören.

Von Tim Neshitov

Ein Kult der Eleganz, mitten im kargen Alltag: Das ist eine kongolesische Lebenskunst, die sich sogar in Paris behaupten kann, wo man sich bekanntlich auf l'art de vivre versteht. Die Ausstellung Beauté Congo - 1926-2015 - Congo Kitoko in der Fondation Cartier feiert das Leben in einem Knall aus Farben, Kurven und Licht, dass man sich vorkommt, als hätte man einen Regenbogen über der Seine verschluckt. Beim ersten Durchgang zumindest.

In Lingala, einer der fünf Nationalsprachen der Demokratischen Republik Kongo, bedeutet "kitoko": schön, oder: wow.

Das französische Publikum kennt dieses zentralafrikanische Land viel besser als das deutsche. Wohl nur die Belgier kennen den Kongo noch besser. Belgien hat den Kongo von 1885 bis 1960 ausgebeutet, erst als Privatbesitz von König Leopold II., dann als "normale" Kolonie. Heute werden kongolesische Künstler wie Chéri Samba, JP Mika oder Bodys Isek Kingelez in Brüssel und Paris, in New York, London und Tokio gefeiert. Man kann nur hoffen, dass diese Schau irgendwann auch nach Deutschland kommt.

In Paris war die Eröffnung rührend, der Kurator André Magnin weinte. Er saß neben sieben eingeflogenen Künstlern, die sich alle ausgiebig bei ihm bedankten, und als er gebeten wurde, etwas zu sagen, konnte er nicht. Er nahm die Brille ab, wischte sich die Augen. Dann sprach er doch: "Es ist eine Weltpremiere!" Seit dreißig Jahren stellt Magnin kongolesische Gegenwartskunst aus, aber erst jetzt wagte er den Versuch, sie von ihren Ursprüngen in den Zwanzigerjahren bis heute zu beleuchten.

Der knallbunte Stil der Sapeurs, das Nachtleben der Sechziger, die frühe Aquarellkunst...

Der Kongo ist eine künstlerische Oase in Afrika, und das Ergebnis hat in der Tat etwas Überwältigendes: 350 Werke, vor allem Gemälde, aber auch Fotos und Graphic Novels, Pappmodelle futuristischer Städte, begleitet von Rumba-Klängen von Bands wie OK Jazz, zu denen seit Jahrzehnten ganz Afrika tanzt, trinkt und nachdenkt. Was man bei dieser Ausstellung nicht zu sehen bekommt, sind Holzmasken und Schiffsnasen, wie man sie in Völkerkundemuseen sieht. Aber man vermisst sie auch nicht.

Man sieht hier die unfassbaren Sapeurs, die Angehörigen der Société des Ambianceurs et des Personnes Élégantes (Gesellschaft der Unterhalter und eleganten Personen), manche in Gestalt von Fabelwesen; das Nachtleben der Sechziger, das Rumble in the Jungle zwischen Muhammad Ali und George Foreman (ein Ereignis, das tiefe Spuren in allen Kunstsparten hinterließ), gemütliche Bierflaschen, blendend weiße Hosen. Man sieht die zarten, präzisen Aquarellzeichnungen der ersten Künstler aus den Zwanzigern. Fische, Vögel. Und diese Krokodile!

Großartig. Kitoko! Aber dann fragt man sich, wieso dieses Wow-Gefühl dann doch schwindet, warum wird einem bitte so mulmig, ja so schwer ums Herz?

Liegt es daran, dass man unbewusst erwartet, kongolesische Künstler würden weniger Party und mehr Krieg zeigen? Im Osten des Landes wird schließlich einer der zynischsten Kriege der Weltgeschichte geführt, der Krieg um Coltan, Wolfram, all die seltenen Rohstoffe, ohne die unsere Handys nie klingeln würden. Ein Krieg, in dem Massenvergewaltigung als taktische Waffe eingesetzt wird. Seit 1994 sind hier mehr als fünf Millionen Menschen gestorben. Der Schweizer Theatermacher Milo Rau widmet diesem Krieg gerade sein größtes Projekt, das Kongo-Tribunal.

Man kann allerdings von Künstlern, die selbst Gräuel erleben, schwer verlangen, dass sie diese Gräuel auch noch zeigen. Und der Kongo ist ein großes Land, fast achtzigmal so groß wie Belgien. Wer in der Hauptstadt Kinshasa lebt (wie die meisten Künstler von Rang), bekommt den Krieg im Osten nur am Rande mit. In der Pariser Ausstellung sieht man nur zwei Bilder, die sich diesem Krieg nähern, beide von Chéri Samba, dem geselligen, rotweintrinkenden Doyen der kongolesischen Malerei.

Beide Bilder sind in fröhlichen Farben gehalten. Eines zeigt einen Kindersoldaten, umgeben von Rosen: "Ich bin für den Frieden, deswegen liebe ich Waffen." Auf dem anderen hockt ein erschöpfter Mann mit Gewehr neben einer weißen Schönheit in knappem Kleid, und zwischen ihnen, wie eine ausgerollte Papstbulle, ein Schreiben des Internationalen Strafgerichtshofs an den kongolesischen Präsidenten: "Wir laden Sie heute Mittag zu uns. Wir wissen, dass es Ihnen dafür nicht an Mitteln fehlt."

JP Mika, dessen "Kiese na Kiese" (etwa: Glück und Freude) als Titelbild den Katalog schmückt, gibt zu: "Man hat eine Hemmung, den Krieg zu malen. Heikle politische Themen meidet man lieber." JP Mika wurde 1980 geboren, sein politischstes Werk in dieser Schau zeigt Nelson Mandela und Barack Obama in Sapeur-Outfits, lachend und in riesigen Cowboy-Boots.

Alle 350 Werke der Ausstellung werden in Europa aufbewahrt. Im Kongo kennt sie niemand

Nein, das Unbehagen, das man hier empfindet, hat einen anderen Grund als fehlende Kriegsaufarbeitung. Irgendwann fängt man an, auf die Herkunft der Werke zu achten, weil auffällig viele aus europäischen Sammlungen stammen: Bibliothèque royale de Belgique, Musée royal de l'Afrique centrale, Collection Pierre Loos, Collection André Magnin (auch der Kurator sammelt). Man macht einen zweiten Durchgang, um sich zu vergewissern: Ja, alle 350 Werke, die Crème de la Crème der kongolesischen Gegenwartskunst, werden in Europa aufbewahrt. Das kongolesische Publikum hat die meisten davon nie gesehen.

Kurator André Magnin findet das bedauerlich, aber nachvollziehbar: "Es gibt im Kongo niemanden, der bereit ist, so viel Geld in die Hand zu nehmen." Diese Werke können Zigtausende Euro kosten. Der Fotograf Kiripi Katembo Siku stellt fest: "Man muss die Reichen bei uns überzeugen, dass sie in Kunst investieren und nicht in Autos." Die kongolesischen Künstler sind dankbar, dass Ausländer ihre Arbeiten kaufen.

Dankbar waren sie schon immer, und das wird hier noch mal klar. Erst kam ein belgischer Kolonialbeamter und entdeckte 1926 das malende Ehepaar Albert und Antoinette Lubaki und den Künstler Djilatendo (die Briefe des Belgiers werden mitausgestellt). Die Dorfmaler bemalten die Wände ihrer Hütten, der Beamte gab ihnen Papier und stellte ihre Arbeiten sogar in Europa aus. Es war eine Zeit, als die Belgier den Kongo per Flusspferdpeitsche beherrschten und Menschen, die weniger Kautschuk sammelten, als erwartet, wurde, die Hände abhackten. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, als in Europa und Amerika der Automobilmarkt boomte, starben auf Plantagen im Kongo bis zu zehn Millionen Menschen. Djilatendo malte neben seinen eleganten Tieren auch belgische Missionare und Soldaten mit Flusspferdpeitschen, sehr vorsichtig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam ein französischer Hobbymaler und gründete in Élisabethville, heute Lubumbashi, ein Atelier namens Hangar, in dem sich eine ganze Generation souveräner Maler entfalten konnte. Auch die Akademie der Bildenden Künste in Léopoldville, heute Kinshasa, gründete ein belgischer Missionar.

Ohne den weißen Mann gäbe es also keine moderne Kunst im Kongo, wie wir sie heute kennen. Der belgische Sammler Pierre Loos, dem viele Arbeiten von Malern aus der Kolonialzeit gehören, hat seine Kollektion nie im Kongo gezeigt. "Wegen Feuchtigkeit", sagt er. "Und der Instabilität." Aber es gebe da ein Projekt, vielleicht, bald.

Diese Ausstellung in Paris ist zum Heulen. Und nicht nur, weil sie eine Weltpremiere ist.

Beauté Congo - 1926-2015 - Congo Kitoko . Fondation Cartier, Paris. Bis 15. November.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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