Ausstellung:In den Nachrichten nichts Neues

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Der gefeierte israelische Videokünstler Omer Fast erforscht in einer Pariser Schau mit vier eindrucksvollen Arbeiten das Thema der Stunde: Gewalt.

Von Catrin Lorch

Lange schien es, als habe der Künstler die Kamera einfach auf die Medien gehalten, auf das Rauschen der Nachrichten und Dokumentationen; auf all die Interviews, die - Schuss und Gegenschuss - mit dem verschmelzen, was wir Erinnerung nennen. Was war gestern? Familienstreit, Flüchtlinge - und abends "Top Gun" auf Video. Die Filme und Videos des Künstlers Omer Fast gaben nicht nur der Kunstszene, sondern auch den Bild- und Medienwissenschaften Themen vor. Kaum ein Künstler - die feministische Fotokünstlerin Cindy Sherman ausgenommen - wurde so theoretisiert und erforscht wie der 1972 in Jerusalem geborene Fast. Er wuchs in den USA auf, lebt und arbeitet heute in Berlin. Er galt als Künstler, der mit seinen Filmen die Nachrichten- und Unterhaltungsmedien als Religion entzaubert, ganz so, als habe er Dürers betende Hände - wie zwei leere Handschuhe - auf links gewendet. Dafür wurden sie auf der ganzen Welt ausgestellt, ausgezeichnet und gefeiert.

In diesem Herbst, in dem er eine lange erwartete Einzelausstellung in Paris eröffnet, während gleichzeitig sein erster Spielfilm "Remainder" in London Premiere hat, erkennt man, dass er der Künstler der Stunde ist. In Paris zeigt er nur vier Werke, die meisten schon älter. Sie erscheinen wie eine Allegorie darüber, was Gewalt heute bedeutet. Es geht nicht um die Brutalität der News, Computerspiele oder Actionfilme. Gewalt erscheint hier als die letzte Größe, die unsere Beziehungen bestimmt. Der Prolog zu dieser weit gespannten Erzählung wird gestammelt, es ist ein Video, die erste Arbeit, die man zu sehen bekommt. Ausgerechnet Nachrichtensprecher, also Männer und Frauen, die den Fluss der Geschichte am Laufen halten, sie scheinen verwirrt: "Nichts von all dem hier ist tatsächlich eine Top-Nachricht", stottern sie, "es gibt da draußen eine Welt, die ist voller echter Gefühle . . ." Es wirkt, als träte ein ganzer Chor von Moderatoren vor die Kamera, denn Omer Fast hat seinen Text aus Aufnahmen von unterschiedlichen Sprechern montiert, jeder kommt genau für ein Wort zu Wort. "CNN Concatenated" (2002) läuft ununterbrochen da, wo auch sonst Nachrichtenmonitore befestigt sind: über der Warteschlange am Eingang. Das wirkt, als kommentierten die Sprecher vielstimmig und im Voraus, was den Besucher erwartet. Die Schau wird sich dann in ihrem Gesamterlebnis zu einem Wortbildgefecht auswachsen, zu einem Kampfplatz.

"Wow! Da sind so viele Leben ausgelöscht worden. Ein direktes Ergebnis meiner Arbeit."

Sie setzt ein mit der ruhigen Filmerzählung "Continuity" (2015). Es geht um Eltern, deren Sohn von einem Auto totgefahren wurde. Jahre später mieten sie sich ein Ersatzkind, einen jungen Soldaten, der mit ihnen - der Film spielt in Deutschland - am Weihnachtsbaum sitzen soll. Die Mutter möchte spüren, wie es sich angefühlt hätte, ihr Kind zu umarmen, jetzt, wo es ein Mann geworden wäre. Weil Omer Fast weiß, dass das flanierende Ausstellungspublikum seine Filme nur ausnahmsweise vom Anfang bis zum Ende sieht, setzen seine Drehbücher immer wieder neu an, zerlegen ihre Geschichte in Schleifen. 77 Minuten lang treffen immer neue Soldaten an der Bahnstation ein. Stehen verloren im Jugendzimmer herum. Kriegsheimkehrer, Kind, Mutter und Autofahrer - die Identitäten scheinen hier so verteilt wie die Uniformjacken, auf deren Brust die Namen mit Klettband befestigt werden.

"Ihr kennt afghanische Familien", sagt einer der Jungen beim Essen. Und erzählt eine Anekdote, die darauf hinausläuft, dass man am Hindukusch bereit sein muss, den Kameraden beim Pinkeln gegen Patriarchen zu verteidigen, die sich in ihrer Ehre verletzt fühlen. Am Ende seiner Erzählung liegt ein Afghane tot im Staub, und die Armee muss Entschädigung zahlen: Kamele, Kühe, Audi. Leidet die Mutter an der Verrohung dieses Jungen? Oder bekümmert sie das Schicksal der unbekannten Großfamilie? "Was kostet das den deutschen Steuerzahler", ist die einzige Zeile, die der Mann, der einst Vater war, dazu herausbringt.

"5,000 Feet is the Best" (2011), der zweite lange Film, handelt von der diametral entgegengesetzten Seite des Krieges. Von einem Mann, der über das "Predator"-Programm von den USA aus Drohnen steuert. Omer Fast hat bei seinen Recherchen mit solchen Kämpfern gesprochen. "Predator ist das Gleiche wie ein Videospiel, nur dass man es jahrelang spielt, jeden Tag auf demselben Level", sagt einer. Und dass er manchmal denkt "Wow! Da sind so viele Leben ausgelöscht worden. Ein direktes Ergebnis meiner Arbeit." Solche Beichten unterbrechen ein Kammerspiel, bei dem ein Interviewer seinem Gegenüber immer wieder dieselbe Frage stellt: Was ist der Unterschied zwischen dir und jemandem, der in einem Flugzeug sitzt? "Es gibt keinen", antwortet einer, "wir machen den gleichen Job." Der Interviewer meint, dass er kein richtiger Pilot sei. Worauf der entgegnet: "Na und? Du bist auch kein richtiger Journalist." In den dunklen Sälen hat Omer Fast kleine Monitore in die Wände eingelassen. Darauf laufen Monologe israelischer Soldaten, die etwa davon handeln, wie es war, als sie losfeuerten. Doch die englischen Untertitel weichen ab, aus "Kameraden" wird "die Film-Crew". Doch Bild und Ton bleiben stimmig, wo es um die Begeisterung geht, dabei sein zu dürfen, auf dem Set oder im Krieg. "A Tank Translated" (2002) zieht die großen Projektionen auf den Leinwänden zu einem Erlebnis zusammen. Was auch deswegen gelingt, weil das Ensemble der vier Werke so überschaubar ist: Soldaten, Eltern, Kinder, Reporter, Opfer, Freier. Omer Fast zeigt sie klar umrissen, ruhig gefilmt. Doch sind sie Kippfiguren, die starren Anordnungen von Abendbrottisch oder Kompanie sind verloren gegangen: Der Drohnen-Pilot ist drogenabhängig. Die Mutter auch Geliebte. Skript und Plot scheinen sich mit dem Durcheinander verbündet zu haben. Meist sind die Zeilen eines Drehbuchs das Rückgrat eines Films. Doch weil Fast eingreift in das, was gesagt wird, weil seine Figuren lose gefügt sind und sich die Handlung als Spirale entrollt, wird das, was körperhaft und fest erscheint, aufgerieben wie der Kunststoff einer überbeanspruchten Prothese.

Identität wird hier verteilt wie eine Uniformjacke, auf deren Brust der Name mit Klettband befestigt ist

In der Ausstellung im "Jeu de Paume" kann man Omer Fast als Erzähler hören, der insistiert, nachfragt, sich nicht mit der Verteilung der Rollen abfinden mag. Dessen Figurentableau - gerade weil es so eingeschränkt ist - darauf besteht, dass die Gesellschaft mehr ist als eine Kiste voller Puppen. Man kann lange darüber reflektieren, was Menschen einander antun, wenn sie ihr Gegenüber nur als Objekt wahrnehmen. In diesen Filmen aber wird fühlbar, dass ein auf Narration, Performance und gute Textzeilen konditioniertes Denken eine Falle ist. Dass es Übergriffen Vorschub leistet - nicht nur, wo Geld fließt oder zielgenau Sprengsätze abgefeuert werden: Elterliches Erziehungsrecht, die Hoheit des Autofahrers über das Sterben des radelnden Kindes - ein Film von Omer Fast kennt keine Gnade.

Während der ersten Minuten von "Remainder", dem gerade fertiggestellten Spielfilm Omer Fasts, kann man einem Mann beim Basteln zusehen. Zügig dringt er mit dem Schneidemesser durch Pappe, leimt die Wände eines Häuschens zusammen. Das Modell ist für ein größeres Vorhaben gedacht: Der Mann hat sein Gedächtnis bei einem Unfall verloren, er wird Immobilienmakler, Ausstatter, verpflichtet Statisten, damit sich in einer großen Inszenierung die Fetzen seiner Erinnerung wieder zusammensetzen. Die Hauptfigur aus "Remainder" hatte in diesem Herbst einen Wiedergänger. Es war der Mann, der sich in Dresden dransetzte, aus Latten einen Galgen zu basteln, an dem Schilder mit den Namen der Politiker Sigmar Gabriel und Angela Merkel, die er als "Mutti" apostrophiert, baumelten. Sah er sich vor allem als "deutscher Steuerzahler"? Als Sohn? Bei der Pegida-Demonstration trug er den Galgen statt eines Spruchbands oder Transparents. Es müssen sehr alte Bilder sein, die ihm durch den Kopf spukten, Teheran, Ende der Siebzigerjahre. Wer anders denkt, wird aufgehängt, die Sprache der Extremisten, derer, die nicht mehr unterscheiden wollen zwischen Kanzlerin und Mutter und Frau. Der Dresdner hatte eigentlich nichts zu sagen, nicht einmal mehr Slogans. So einer ist längst selbst zur Figur aus den Zwischenzonen der Medien geworden.

"Omer Fast. Le Présent Continue", bis zum 24. Januar im Jeu de Paume, Paris. Im Kunsten-Museum of Modern Art Aalborg vom 18. März bis zum 26. Juni. Der Katalog kostet 35 Euro.

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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