Ausstellung:Diese Hobel waren der Hammer

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In Dresden sind Werkzeuge und Kunstwerke zu sehen, die der sächsische Kurfürst August geliebt hat.

Von Stephan Speicher

Mit der Herrichtung des Dresdner Residenzschlosses geht es voran. Vor drei Jahren wurde die Rüstkammer eröffnet, im letzten Jahr das Münzkabinett, und jetzt gibt es wieder eine neue Dauerausstellung: "Weltsicht und Wissen um 1600". Sie wird gespeist aus der alten Kunstkammer der Wettiner, wie sie im 16. Jahrhundert unter Kurfürst August entstand. Kunst- und Wunderkammern sind in der akademischen Welt seit Jahren ein bevorzugtes Thema; dass die Sammlungen sich meistenteils verloren haben, gibt dem Gegenstand etwas Fantastisches. Die Dresdner Kunstkammer ist auch nicht ungeschmälert über die Zeit gekommen, 1832 wurde sie aufgelöst und ihre Stücke in andere Sammlungen abgegeben. Und doch ist so viel übrig geblieben, dass nicht gerade eine Rekonstruktion entstehen konnte und sollte, aber ein lebhafter Eindruck der geistigen Welt, deren Ausdruck sie war.

Vielleicht das Überraschendste: die große Zahl von Werkzeugen. Im ersten Saal liegen, hängen, stehen sie, solche für die Gartenarbeit, für Holz- und Metallbearbeitung, chirurgische Instrumente und auch "Brechzeuge" - was man so braucht für qualifizierte Ein- oder Ausbrüche. Da gibt es, reich reliefiert, einen kleinen Apparat, um schwere Türen anzuheben, einem Wagenheber ähnlich, Wurfanker, Flaschenzüge, Kettenleitern, Rollensysteme, die Seile über Simse oder Mauervorsprünge führten. Aber natürlich auch Hobel, Bohrer, Feilen. Eine Drahtziehbank gehörte auch einmal zum Ensemble, sie wurde nach Frankreich verkauft. Sachsen mit seinem Erzbergbau, den Hüttenbetrieben und der Metallverarbeitung war ein technisch avanciertes Land, eine Werkzeugsammlung passte bestens. Kurfürst August scheint diese Dinge aber auch geliebt zu haben, er zog sich in die Kunstkammer zurück, um dort seinen Passionen nachzugehen. Drechslerarbeiten von ihm haben sich erhalten.

Doch war die starke Ausrichtung auf die praktischen Dinge - die Werkzeuge machten 75 Prozent des Kunstkammerbestandes aus, Kunstwerke nur etwa 1,5 Prozent - wohl etwas Eigenwilliges, Augusts Zeitgenossen waren nicht rundum überzeugt. Aber man kann die sächsische Sammlung auch als Zeichen des neuen Glaubens deuten, als Sammlung eines protestantischen Typus, für den nüchternen, arbeitsamen Fürsten. Und jedenfalls wird deutlich, was man unter den artes versteht: nicht allein die schönen Künste, sondern alles, was regelhaft, "kunstgerecht" getan wird, gern auch von praktischer Natur.

Eine kleine Sonderausstellung im "Studiolo" illustriert das, Kupferstiche neuer Erfindungen nach Jan van der Straet. Da werden Wind- und Wassermühlen vorgestellt, Zuckersieden, Ölmalerei, Schnapsbrennen, Seidenraupenzucht sowie die Syphilis nebst einem nicht genau bezeichneten Wirkstoff dagegen. Von ähnlichem Charakter, innovativ nämlich, sind die ausgestellten "Kombinationswaffen": Hellebarden, deren Stange der Lauf eines Gewehres war, Stoßdegen, aus denen man gleichfalls feuern konnte, Pistolen mit Beilen, eine Vorform des Trommelrevolvers. Es waren technische Experimente oder Spielereien, nicht für den militärischen Einsatz gedacht. Schon im 17. Jahrhundert verlor sich das Interessen an solchen Späßen.

Äußerst aufwendig und ähnlich spielerisch scheint dem modernen Blick auch ein Kalvarienberg, den der Goldschmied Elias Lencker 1577 in Nürnberg schuf. Das Kreuz steht auf einer Bergspitze aus Perlen und Muschelschalen, verfeinert durch silberne "Naturabgüsse" von Gräsern und Kräutern, so subtil, dass sie schon "ein Anblasen wehig macht". Das irisierende Licht der Perlen, die Delikatesse, mit der das alles gestaltet ist, lenkt den Blick nicht gerade auf den Gekreuzigten. Perlen und Perlmutt standen nun mal in höchstem Ansehen. Für einen großen perlmuttbelegten Tisch aus dem indischen Gujarat bezahlten die Wettiner über 9000 Gulden, einen Betrag, für den sie mehr als 20 großformatige Rubens-Gemälde hätten kaufen können.

Dabei muss man unterstellen, dass der Welt, wie sie in der Kunstkammer beispielhaft versammelt ist, ein geistiger Sinn unterliegt. Zu den wertvollsten Stücken gehörte ein Narwalzahn, den man für das Horn eines Einhorns hielt. Ihm wurden starke Heilkräfte zugeschrieben. Vom Einhorn hieß es, kein Jäger könne es fangen, wohl aber springe es einer Jungfrau in den Schoß. "Das Tier wird auf die Person des Heilands gedeutet", heißt es im "Physiologus", einer frühchristlichen Naturgeschichte, die lange autoritative Geltung hatte. Und wenn die Kunstkammer auch einen bronzenen Hirschen zeigte, dann nicht allein zur Freude der Jäger. "Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele nach Gott, zu dir", heißt es im 42. Psalm. Zwei Bewegungen sind hier repräsentiert, die Gottes zu den Menschen im Einhorn und die des Menschen zu Gott im Hirschen.

So steckt in der Vielfalt doch eine Ordnung. Der große Kunsthistoriker Julius von Schlosser, der 1908 die "Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance" beschrieb, war von den Dresdner Beständen wenig überzeugt. Verglichen mit den habsburgischen seien sie nur ein Durcheinander von Kunst und Natur. Vielleicht hatte er recht, sicher ist es nicht.

Schränke ohne Inhalt sind reine Schaustücke - sie repräsentieren die Ordnung

Ein Höhepunkt der neuen Ausstellung ist der Saal mit den Kunstschränken. Zwei davon wurden gleich mit Ausstattung verkauft. Das "Werkzeugkabinett", in Augsburg im frühen 17. Jahrhundert gebaut, enthält eine differenzierte Sammlung von Handwerkszeug, dazu Jagdutensilien, Kriegsgerät, eine Apotheke, Schreibgeräte, Spiele und anderes, alles dichtest gepackt, eine Wunderkammer für sich. Das "Tischkabinett" aus der gleichen Zeit ist die weibliche Variante, ohne Handwerkszeug, sonst ähnlich kompakt befüllt - selbst die Seifen der Entstehungszeit gibt es noch. Das Werkzeug zeigt leichte Gebrauchsspuren, es wurde wohl mal ausprobiert; die Apotheken sind unbenutzt. Beide Möbelstücke sind weniger Aufbewahrungsorte ihrer Inhalte als Bühnen. Zwei weitere Schränke wurden nie gefüllt, waren dafür auch nicht gedacht, sondern Schaustücke, Repräsentanten reiner Ordnung.

Ordnung ist immer von Nutzen, im fürstlichen Zusammenhang repräsentiert sie darüber hinaus die legitime Herrschaft, das Gegenbild zu Willkür und Gesetzlosigkeit. Aber sie hat im 17. Jahrhundert auch eine kosmische Dimension. Kepler und Galilei verstehen sich als Platoniker. Sie erkennen in der physischen Natur die Harmonie, die Platon in der Geometrie und den nach ihm benannten Körpern gefunden hatte. Kunstschränke sind wie die Kunstkammer selbst ein Bild der Ordnung, die in und über allem steht, eine Rechtfertigung der Wissbegier auf alles Neue und Fremde.

Weltsicht und Wissen um 1600. Residenzschloss Dresden. Das neue Heft der Dresdener Kunstblätter widmet sich dem Thema (Sandstein Verlag, 5 Euro).

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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