Ausstellung:Die stille Prosa eines Golfspielers

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Die Darmstädter Universitäts- und Landesbibliothek sichert die Spuren des französischen Schriftstellers Emmanuel Bove. Allen Rückschlüssen von seinen Außenseiterfiguren auf den Autor wird hier widersprochen.

Von Volker Breidecker

"Vollkommen verschwunden" sei das Werk von Emmanuel Bove, nicht einmal mehr in den "hinteren Räumen der Buchhandlung" zu finden, klagte der spätere französische Staatspräsident, Valéry Giscard d'Estaing, 1972 in einem Brief an den Schriftsteller Philippe Soupault. Soupault war Lektor im Pariser Verlag Kra gewesen, in dem Bove seine ersten Romane veröffentlicht hatte, und er war mit dem vor langer Zeit verstorbenen Autor befreundet gewesen. Giscard fragte ihn: "Wer war er? Wie war sein Wesen? Welche Spuren hat er hinterlassen?"

"Wer war Emmanuel Bove?" Die kürzeste vorläufige Antwort findet sich in einer biografischen Notiz am Ende der deutschen Ausgabe der Erzählung "Dinah", die 1992 in der Friedenauer Presse erschien: "Geboren 1898 als Sohn eines mittellosen russischen Vaters und einer luxemburgischen Mutter, lebte Emmanuel Bove (eigentlich Emmanuel Bobovnikoff) als Reisender zwischen Paris, Genf, Menton, England und Österreich. Von 1942 bis 1944 hielt er sich in Algerien auf und starb 1945 in Paris."

Und sein Wesen, nach dem Valéry Giscard d'Estaing fragte? In Philippe Soupaults Augen war Emmanuel Bove "der schweigsamste Schriftsteller", den es je gegeben habe. Die Spuren, die er hinterließ, waren aber immerhin umfangreich, ein ansehnliches Werk von rund 30 Romanen neben zahlreichen Erzählungen und Kurzgeschichten.

Allen Rückschlüssen von seinen Außenseiterfiguren auf den Autor wird hier widersprochen

Seit Mitte der Zwanzigerjahre wurde Bove als neuer Stern am Pariser Literatenhimmel gefeiert. Seine stille, makellose Prosa über zumeist etwas verträumte, von mannigfachen Handlungshemmungen gepeinigte Außenseiter schien dann aber so gar nicht mehr in die von der existenzialistischen Szene dominierten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu passen. Erst seit den 1980er-Jahren erfuhr Boves Werk eine Renaissance, die bald auch über den Rhein schwappte. Noch zu Beginn des neuen Jahrtausends bediente eine ganze Reihe deutschsprachiger Verlage Boves wachsende Lesergemeinde mit den Übersetzungen französischer Neuausgaben. Dann aber wurde es mit einem Mal wieder still um diesen Autor, auch wenn ein verschwiegener "Bovianismus" weniger Eingeweihter - zumeist Schriftsteller, Kritiker und Kleinverleger - untergründig weiterwirkte.

Eine erneute Bove-Renaissance könnte jetzt an der Zeit sein, seitdem sich der Literaturdetektiv Reinhard Pabst, der schon Georg Büchner, Thomas Mann oder Theodor W. Adorno nachgespürt hat, auf die Suche nach Lebensspuren von Emmanuel Bove begeben hat. Im Verein mit der Literaturstiftung des Kölner Sammlers und Mäzens Rainer Speck und dem Grafiker Thomas Hahn präsentiert Pabst seine Funde derzeit in einer liebevoll komponierten Kabinettausstellung im Foyer der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt.

Die in den Vitrinen versammelten Bücher, Briefe, Bilder, Manuskripte und Fotografien werden anschaulich ergänzt durch eine Collage schriftlicher und visueller Zeugnisse zu Boves Leben, Werk und Wirkung, die auf herabhängende graue Stoffbahnen gedruckt sind. Zu den Funden gehören vier bisher unbekannte Erzählungen, die in der auflagenstarken Tageszeitung Paris-soir erschienen. Sie handeln von Geld und Familie, Großthemen Boves, und sollen 2018 übersetzt werden.

Ein klein wenig erinnert die Präsentation an die temporäre Installation des "Bove-Kiosk", den der Künstler Thomas Hirschhorn im Jahr 2000 in einer Außenstelle der Universität Zürich bestückt und illustriert hat. Die jetzt in Darmstadt gezeigte Ausstellung korrigiert manche Ungenauigkeiten und Kurzschlüsse in der 1995 auch auf Deutsch erschienenen Biografie der französischen Autoren Raymond Cousse und Jean-Luc Bitton, die Boves Werk zu "Konfessionen in Romanform" erklärt hatten.

Allen direkten Rückschlüssen von den Figuren in Boves Erzählungen und Romanen, die zumeist am Rande des Scheiterns in kargen Verhältnissen agieren, auf die Biografie ihres Autors widerspricht die Darmstädter Ausstellung auf überzeugende Weise. Der preisgekrönte Golfspieler Bove war auch dem mondänen Leben durchaus zugetan. Korrigiert wird auch das Bild eines vermeintlich unpolitischen, die Krisen seiner Zeit lakonisch registrierenden Autors: Bove war ein erklärter Antifaschist, der sich in einem seiner letzten Romane - "Die Falle" (1945, dt.: 1995) - nicht scheute,unbequeme Wahrheiten über das Frankreich der Kollaboration zu enthüllen.

In der deutschen Bove-Rezeption spielt Peter Handke eine Schlüsselrolle, angeregt und angestiftet durch seinen Freund, den Theaterregisseur Luc Bondy. Handke hat zu dieser Ausstellung die Originale seines Briefwechsels mit dem Suhrkamp-Lektor Raimund Fellinger beigesteuert. Beim Übersetzen von Boves Debütroman "Mes amis" aus dem Jahr 1924 sah sich Handke 1981 "mit jedem Satz von Bove eins" und ließ dem Auftaktband "Meine Freunde" weitere Werke folgen, den Roman "Armand" und die Skizze des Pariser Vorortes "Bécon-les-Bruyères".

Für den Rhein-Verlag war er neben Joyce und Broch ein Zugpferd

Gleichwohl - und dies führt zu den Überraschungen dieser Ausstellung - war Bove in Deutschland bis dahin mitnichten "völlig unbekannt", wie es im Klappentext zur deutschen Ausgabe der Erzählung "Flucht" im Jahr 1983 hieß. Zu seinen Lesern zählten zum Beispiel Rainer Maria Rilke und Klaus Mann. Die bedeutendste frühe Rezeptionsspur führt zu der 1930 im Gustav-Kiepenheuer-Verlag erschienenen Anthologie "Neue Französische Erzähler", die weithin beachtet und unter anderem von Thomas Mann und Alfred Kerr besprochen wurde.

Die Anthologie wurde von Felix Bertaux und Hermann Kesten herausgegeben. Auf dem in den Farben der Tricolore gehaltenen, von dem Illustrator Georg Salter gestalteten Umschlag prangt unter dem plakativen Zwischentitel "Das Buch des jungen Frankreich" in fetten Versalien auch der Name "BOVE", neben den Größen der damaligen Zeit, darunter André Gide, Jean Giraudoux, Julien Green und André Malraux. Zu den Übersetzern der Franzosen zählten neben Gina und Hermann Kesten die eine Erzählung Boves übertrugen, Walter Benjamin, Joseph Roth, Alfred Wolfenstein und Lili Ehrenreich-Kracauer. Viele der in dieser Anthologie versammelten Autoren waren noch vom Trauma des Ersten Weltkriegs gezeichnet, die Anthologie selbst war Teil der bald darauf wieder gewaltsam abgebrochenen deutsch-französischen Verständigung. In ihrem Kontext kam Emmanuel Bove erstmals nach Deutschland.

Der renommierte Rhein-Verlag, der unter anderem Joyce und Broch verlegte und damals auch einen deutsch-französischen Buchvertrieb unterhielt, führte Emmanuel Bove in Inseraten als ein Zugpferd. Und der Schweizer Literaturvermittler Carl Seelig, der Mäzen und Schutzpatron Robert Walsers, verfolgte bereits damals im brieflichen Austausch mit Bove das Projekt einer Übersetzung von "Les amis", wenn auch vergeblich.

Eine ganz besondere Kostbarkeit der verdienstvollen kleinen Ausstellung, der man noch viele weitere Stationen wünschen möchte, ist das Exemplar einer Nachkriegsausgabe des vorübergehend wiederbelebten legendären Paris-New Yorker Avantgardemagazins Transition. Das Heft vom Oktober 1950, dessen Umschlag von Henri Matisse gestaltet wurde, enthält die englische Übersetzung eines Kapitels von Boves "Mes amis" aus der Feder von Samuel Beckett, der Bove für dessen feinen "Sinn für das Detail" bewunderte. Schon Beckett hatte im Impressum seiner Übersetzung der Nachwelt geraten, "wieder und wieder Bove zu lesen". Was sonst!

"Wer war Emmanuel Bove?" Bis 8. Juli. Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Magdalenenstraße 8 . Info: 06151-1676211.

© SZ vom 19.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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