Ausstellung:Der Märchenerzähler

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Alexander Kluge: „Homo volans“ (Filmstill). (Foto: Kairos Film 2017)

Der Filmer Alexander Kluge wird im Museum Folkwang in Essen mit offenen Armen empfangen - was aber tun mit diesem scheinbar endlosen Bilderstrom?

Von Michael Kohler

Alexander Kluge erzählt vom Krieg. Wie er sich in Halberstadt unter den Fliegerbomben wegduckte und sich das Gefühl der Ohnmacht in seine Glieder schlich. Selbst wenn sie eine weiße Fahne hätten hissen wollen, in den Kanzeln der Bomber hätte es doch niemand gesehen. "Die Strategie von oben bestimmt weiter unser Leben", sagt er. "Die Bomben sind smart geworden, aber die Strategie ist so dumm wie immer."

Wenn der 85-jährige vom Krieg spricht, arbeitet er immer noch unermüdlich an Gegenstrategien. Sie richten sich nicht mehr nur gegen Bomben, sondern auch gegen die Algorithmen aus Silicon Valley, die kapitalistische Wirtschaftslehre oder die Erzählkonventionen von Hollywood. Seit einem halben Jahrhundert kämpft Kluge gegen die Erzählungen, die unser Leben im großen Maßstab bestimmen, und setzt ihnen den Eigensinn der kleinen Dinge entgegen. Diese findet er gerne in anekdotischen Geschichten und entlegenen Fundstücken aus historischen Archiven, die er dann durch eine assoziative Montage lose miteinander verknüpft. Je weiter sich seine Geschichten verästeln, desto näher kommt man dem, was für Kluge genuin menschliche Erfahrungen sind.

Es geht um Tiere im Krieg, um Walfang, Donald Trump, Wasserfälle, Flüchtlinge

Jetzt ist Alexander Kluge, der Autorenfilmer, Schriftsteller und Fernsehnischen-Revolutionär mit seinen Geschichten im Museum angekommen - das ihn zwar mit offenen Armen empfängt, aber von seinem Erzähltemperament auch hoffnungslos überfordert scheint: Wie soll man bloß all die Tausende Stunden Film, Video und Bildungsfernsehen, die endlosen Materialsammlungen seiner Bücher und vor allem sein ebenso anspruchsvolles wie sprunghaftes Denken an die Ausstellungswände bringen? Im Essener Museum Folkwang versuchen sie es mit einem "Pluriversum" der Bilder, das sich dann aber als eher gewöhnlicher Hindernisparcours durch das Kluge-Universum entpuppt.

Am Anfang steht der Besucher vor einer riesigen Sternenkarte mit Begriffen der Kluge-Philosophie: Bodenhaftung, Öffentlichkeit, Antirealismus, Eigensinn. Aufgelockert wird der intellektuelle Kosmos durch einen Kalauer auf die Kritische Theorie: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen Hasen." Von dort geht es in den ersten abgedunkelten Erfahrungsraum, wo ein Fernrohr, eine Fliegerbombe und eine Geburtszange von sechs neuen Kluge-Filmen erleuchtet werden und die Zeichnung eines ausgestorbenen Riesenkängurus jedem klarmacht, dass dies eine Forschungsreise in die endlose Welt der Bilder ist. Nach einem Arbeitszimmer, in dessen Bücherregal seltsamerweise fast nur Literatur von Kluge steht, und einem Archiv, das mit weiteren neuen Kluge-Filmen vor allem mehr vom selben bietet, gelangt man in das Herz der Ausstellung: das Pluriversum der Bilder. In diesem Raum werden auf alle vier Wände und die Decke Filme projiziert, die teilweise wiederum aus mehreren Bildebenen bestehen. Es geht um Tiere im Krieg, um Walfang, Donald Trump, Wasserfälle, die Flüchtlinge, und ganz offensichtlich soll man hier - wie in der gesamten Ausstellung - von den Eindrücken überfordert werden. Eigensinn gewinnen die Bilder für Kluge nicht durch die Montage des allwissenden, das Material ordnenden Erzählers. Sondern durch die Zusammenhänge, die mehr oder weniger zufällig im Auge des Betrachters entstehen können. "Ich bin von Haus aus Ikonoklast, da kommen Sie automatisch auf Details." Mit diesem Kluge'schen Spruch im Ohr kommt man am besten durch sein Pluriversum - indem man von Monitor zu Monitor schlendert, sich treiben lässt im Bilderstrom und einfach abwartet, was hängen bleibt. Am Ende der Ausstellung steht man dann vor einer Art Knusperhäuschen ohne Knusper, aber mit ausgehängter Tür und mit einer Tapete aus fotokopierten Märchenbildern im Inneren. Hier gönnt sich Kluge eine Pause von der eigenen Montagetheorie und zieht eine ziemlich direkte Verbindung von Grimms Märchen zur aktuellen Flüchtlingskrise. "Wer an die Märchen nicht glaubt, war nie in Not", steht auf einem Zettel. Manchmal heißt es beim Märchenonkel Alexander Kluge: Hefte raus zum Diktat.

A lexander Kluge: Pluriversum. Museum Folkwang Essen, bis 7. Januar. Katalog: 24 Euro.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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